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die stimme der kritikBetr.: Bürger beobachten die Bahn (Folge 6)

Fahrgastinformationsanlagendauerdefektproblematik in Glabbach gelöst!

Mönchengladbach: Die vielleicht ödeste Stadt der Republik; mickrig das Weichbild, bar jeder Sehenswürdigkeit, eine Oase des Nichts. Originell nur der lange Name: Da macht man kreativ M’Gladbach draus oder gleich Gladbach, im Heimatidiom Glabbach. Früher hieß es Münchengladbach.

Einzige Erhebung der dauerberegneten Stadt ist der Bökelberg. Hier spielt die Borussia, Legende erlesener Kickerkünste der 70er, aber auch Brutstätte zwei der größten Übelgestalten des deutschen Fußballs: Matthäus und Effenberg.

Und da ist Mönchengladbach Hbf., die Bronx unter den deutschen Bahnhöfen, dreckig und muffig. Die Anzeigetafeln an den Gleisen haben seit vielen Jahren Totalausfall. Lange waren sie mit Klebeband einfach durchkreuzt oder einmalige Hinweise drangemalt: „Abfahrt Stunde 45“. Sollte heißen: Immer Viertel vor rumpelt ein Zug nach irgendwo. Keine Durchsagen. Dauernd rannten Fahrwillige herum und suchten Personal, das es nicht gab.

Das hatte nämlich gemalt. Schöne neue, einheitliche Schilder. Mit denen MG Hbf. zur Brutstätte bahnerischer Kreativität geworden ist: „Fahrgastinformationsanlage zur Zeit ausser Betrieb“. Ein Aufbruchsignal, dreifach spannend und lehrreich.

1. „Fahrgastinformationsanlage“. Mit diesem Begriff aus dem Wörterbuch des Kreativmenschen lernt der Deutschfremdsprachler, dass er nie fertig haben wird mit Lernen. Möglichkeiten der Weiterung: siehe Überschrift.

2. „zur Zeit“. Hier bieten sich a) inhaltliche Diskurse an: Wie lange ist das, noch und schon? Was ist Zeit für die Bahn AG, die ihre Pünktlichkeit so verlässlich nach geologischen Zeitspannen berechnet? Kann, was fast seit Borussias letzter Meisterschaft währt, jetzt bleiben immerfort? Und b) kann man zwar einen Rechtschreibfehler diagnostizieren (der Duden verlangt zurzeit „zurzeit“), aber vielleicht deutet der bewusst darauf hin, dass Bahners Wille über jede Schreibreform erhaben ist?

3) „ausser Betrieb“. Ein Fall für Sprachpsychoanalytiker, denn hier erleben wir einen klassischen Fall von Überkompensation. Ausser gibt es nicht, weiterhin nur außer; außer in der generell ß-feindlichen Schweiz. Die Schilder also als Gruß (Gruss) an Eidgenossen auf Glabbachbahnhofsbesuch?

Anregendes, erfrischendes MG. Und dann – ist der Zug abgefahren. Ein ganz neuer übrigens. Mit ganz neuartigem Frontdisplay. Er fährt „n. Wesel“. Wo immer das ist.

BERND MÜLLENDER

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