Aus dem Kabuff der Könige

Die anhaltende Sensation kehrt zurück: Sister Knarf Rellöm liest in der Schilleroper, formidabel unterstützt von DJ Patex  ■ Von Schorsch Kamerun

Electric China hieß der musikalische Zusammenschluss einiger Outlaws aus dem beigen Dithmarschen der – und danach duftet die Namensgebung freilich immens – voll entfachten Achtziger. Sie saßen in dem flachen Nebel der hinterdeichigsten Provinz, die es nur gibt. Dieses Dithmarschen in Schlewig-Holstein ist in seiner plattstirnigen Ausrichtung der kulturellen Empfindung nur vergleichbar mit dem böse-böse-In- und Umland etwa eines Kreises Stormarn oder des Herzogtums Lauenburg. Glücklicherweise gab es in jenen Tagen eine moderne Möglichkeit, denjenigen Rettungsanker zu werfen, der komprimiert alle Ablehnung gegen das Vorhandene ausdrücken konnte: Punk/The New Wave. “You don't have to listen to what your parents say!“ (The Damned).

Aus Electric China wurden Huah!, und als diese ging man dann weg vom Nord-Ostsee-Kanal. Ab in die City! Das neue Dorf hieß St. Pauli. „Waldi“ riefen Sie den Sänger, später bestand er nicht grundlos darauf, ausnahmslos “Walding“ genannt zu werden. Beharrlich. Überhaupt: Weitermachen, Durchhalten. Aber nie um den Preis der Flexibilität. Seit er als Solokünstler unterwegs ist, schlägt Frank Möller, wie Walding bürgerlich heißt, mit immer neuen Künstlernamen geschickte Haken um die Festzurrung seines jeweils öffentlichen Standortes.

Die Umkehr des Offiziellen ergab Knarf Rellöm , daraus wurde dann Ladies Love Knarf Rellöm oder zuletzt Knarf Rellöm Ism. Next Name, Please! Wandelbares Labeling gegen das Erstarren in Richtung Rockworld. Nur nicht Verweilen im äußerlich Erkennbaren. Wobei Tempo sonst bei Walding nicht selbstverständlich ist, gilt er doch unter WeggefährtInnen als eher antrittslahm. Man mauschelt gar, er wäre nicht gerade jemand, der eine Uhr besonders ökonomisch zu nutzen versteht. Mein Bandkollege Ted Gaier hat einmal treffend beschrieben: “Walding hat ein romantisches Verhältnis zur Zeit.“ Knarf returnierte unlängst bravourös auf seiner aktuellen Platte Fehler ist King mit dem Stück “Was ist romantisch für Ted Gaier?“

Langsamkeit, genau diese vermeintliche Schwäche des Hängenbleibens, nutzt er für präzisen Studien der Befindlichkeiten an seinen, mitunter (nur vordergründig) blassen Stationen. Das derart Erforschte kratzt Walding teils zackig wütend, teils ernsthaft offen, immer auch fragend in seine Texte. Und dann geht es zusammen (Knarf Rellöm Ism ist eine gleichberechtigte Band) raus in die Bühnensituation. Alles ist ständig auch live zu haben. Man tritt überall auf, wo es Sinn macht. Die Show ist offenes Spiel. Auch die Akteure wissen vorher nie, wo es hingehen wird. Die besten Auftritte (oder die schlechtesten) können jene sein, bei denen der Sänger sehr viel redet.

Dafür gibt es jetzt – abgesehen vom frei improvisierten Wort – noch mehr neues, festes Material. Walding hat ein Buch geschrieben. Erste Auszüge aus Quasimodo schallen einer zu erwartenden Begeisterung voraus. Keine Sekunde wurde also vertan bei den Recherchen in den Palästen der Subgruppen, oh, edler Berichterstatter. Sauber unpeinlich wird wackeligstes Terrain durchkämmt. Nur wer die tausend Blicke des Großmeisters wiederholt und wiederholt, kann sie wirklich lesen, die Codes, die Gebärden, die Zuwürfe, die Zerwerfungen, die Reize, die einzelnen Abzeichen, die Magnetfelder, die Abziehbilder, diejenigen, die glauben, die, die nur saugen, an den Abenden der Ersten der Ewigen. Aus dem Kabuff der Kings und den Treppchen darunter, daneben und darüber tönt das Geschrei der Lebenden. Nur ein Geweihter wie der feine Herr Rellöm kann die Stimmen klar vernehmen und sauber entwirren. Dann spannt er die vielen Linien und streicht sie neu aus. Aus den immer gleichen Pasten volle Moderne voraus. – Sie können das jetzt prüfen. „Mehr Henry Rollins denn Martin Walser“ verpricht die Ankündigung der Schilleroper zur Lesung. (Schorsch Kamerun ist Mitglied der Goldenen Zitronen)

Do,, 21 Uhr, Schilleroper