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zoologie der sportlerartenPROF. HIRSCH-WURZ über den Kricketspieler

Tea-Time mit Surfbrett

Der Homo wicketiensis stammt ursprünglich aus einer abgelegenen, rückständigen und skurrilen Inselregion, in der unaufhörlich miserables Wetter herrscht und die von sehr merkwürdigen Lebewesen bewohnt wird, als da wären Windhunde, Rennpferde, Corgies, Beefeaters (!), Cheshire Cats, verschüchterte Füchse und nicht zuletzt Engländer. Irgendwann im ausgehenden Mittelalter lebte in den Sümpfen Yorkshires ein überaus fauler Bursche, der jede Art von körperlicher Tätigkeit abgrundtief hasste. Eines Tages sagte seine Mutter zu ihm den folgenschweren Satz: „I’d be extremely happy, if you wouldn’t mind to consider taking part in some kind of sports, my dear.“ (Wortgetreue Übersetzung aus dem Mittelhochenglischen: „Wenn du fauler Sack nicht endlich deinen Arsch bewegst, kommst du mir nicht mehr ins Haus.“) Der Bursche war zwar faul, aber auch sehr gehorsam, und dachte daher scharf darüber nach, wie er den Auftrag seiner Mutter mit seiner Abneigung gegen jedwede Motorik in Einklang bringen könnte. Es müsste doch eine Sportart geben, so grübelte er, bei der man stundenlang einfach nur in der Gegend herumsteht, ohne einen Finger, geschweige denn irgendetwas anderes zu rühren, bevor man sich frohgemut zum Lunch oder zur nächsten Teepause begibt. So entstand Kricket.

Im Mittelpunkt dieser Sportart, deren Bezeichnung auf den Begriff „Krücke“ zurückgeht, und dies völlig zu Recht, steht das so genannte Wicket. Ein Name, den die Mutter des jugendlichen Erfinders prägte, die ihrem Sprössling, als er die neue Sportart erläuterte, spontan entgegnete: „My gosh, what a wicked little gentleman you are!“ („Heiliges Kanonenrohr, du bist ja wohl der verdammt raffinierteste Bastard, der mir je unter die verfluchten Augen gekommen ist.“) Vor dem so genannten Wicketkeeper steht der Batsman, der vorsichtshalber nicht Batman heißt, aber dennoch der bei weitem aktivste Mensch auf dem Feld ist. Ungefähr jede Viertelstunde muss er seine Arme kurz ein paar Zentimeter anwinkeln, um einen heranholpernden Ball an einem mitgeführten Minisurfbrett abprallen zu lassen.

Herkunftsort des Balles ist der zweitaktivste Mensch auf dem Pitch, der nach einem albernen Hut benannte Bowler, welcher die Kugel einige Minuten zuvor mit der Dynamik eines schwer rheumakranken Hobbykeglers auf die Reise geschickt hat. Ist der Kontakt des Surfbretts mit dem Ball erfolgreich verlaufen, bequemen sich die Batsmen zu einem so genannten Lauf, der in etwa mit der Geschwindigkeit eines Kant’schen Mittagsspaziergangs absolviert wird. Ist dieser Exzess an körperlicher Aktivität vollbracht, lässt man sich erst mal zur Tea-Time nieder, um sich für die nächsten 800 Läufe in den kommenden Stunden und Tagen – so lange dauert ein Match – zu wappnen.

Viele Jahrhunderte hindurch hätte es niemand für möglich gehalten, dass der Homo wicketiensis auch in anderen Ländern Verbreitung finden könnte, doch der Commonwealth-Gedanke hat ja bekanntlich noch ganz andere Grausamkeiten auf dem Gewissen. Noch viel weniger hätte jemand geglaubt, dass irgendeine andere Nation die Engländer in der Kunst des sportiven Herumstehens übertreffen könnte. Wie sich bald herausstellte, war das Gegenteil der Fall. Jeder, der sich dazu hergab, konnte besser herumstehen und die Engländer noch vor dem Dinner wegputzen.

Der Homo wicketiensis breitete sich aus, von den West Indies bis Pakistan, von Indien bis Neuseeland, von Südafrika bis Australien. Letzteres verwundert besonders, da die Australier ansonsten nur Mannschaftssportarten akzeptieren, bei denen am Ende mindestens die Hälfte der Teilnehmer blutüberströmt in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss. Würde man den Australiern allein die Entwicklung des Krickets überlassen, schreibt der Autor Bill Bryson, trügen bald alle kurze Hosen und würden ihre Schläger als Waffen gebrauchen. Überlässt man den Nordamerikanern die Entwicklung des Krickets, wird daraus Baseball. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Ebenso wie die des kleinen Bruders vom Kricket-Erfinder. Der war noch fauler und erfand Krocket.wissenschaftliche Mitarbeit:MATTI LIESKE

Fotohinweis:H. Hirsch-Wurz, 50, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.

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