„Blödsinnsphase“

Die jungen Internetfirmen haben neue Geschäftsmodelle ausprobiert. Jetzt profitieren die großen Konzerne von ihren Erfahrungen

Interview VERENA DAUERER

taz: Die vor kurzem noch so smarten dot.com-Frimen gehen reihenweise Pleite. Warum?

Geert Lovink: Für die Krise gibt es zwei voneinander unabhängige Gründe: Da ist die finanzielle, spekulative Seite, bei der eine Börse so überbewertet ist, dass sie zusammenstürzen muss. Historische Parallelen sind die Tulipomania in Holland, wo man auf Blumenfarben setzen konnte, dann die Aktien auf Inseln in der Südsee mit angeblich reichen Bodenschätzen und schließlich der Börsenkrach von 1929. Der andere Grund ist die Technologie, das Internet an sich: Das Modell der dot.coms geht von einer hohen Zuwachsrate aus. Es sollte eine unerschöpfliche Basis an neuer Klientel dafür geben, die dem Trend nachzieht. Man schafft also die Märkte in der Erwartung der Kunden. Die gab es aber nicht. Das ist die Goldgräbermentalität.

Hat überhaupt jemand vom Neuen Markt profitiert?

Ja, und zwar die Leute, die vor dem Frühling 2000 ausgestiegen sind. Dabei müssen sie es allerdings geschafft haben, ihre Aktien zu verkaufen, da es dafür eine Sperre von meistens ein bis zwei Jahren gibt. Im Herbst 2000 sind viele Firmen nicht in die zweite und dritte Runde ihrer Finanzierung gekommen. Die Auswirkungen werden wir erst in diesem Herbst oder nächstes Jahr sehen. Aber vieles, was die dot.coms in einer Art gigantischen Versuchsanlage ausprobiert haben, wird zum Standard werden. In diesem Sinn gibt es kein Modell, das sich durchgesetzt hat, oder gar einen Gewinner der Krise. Die Großfirmen werten diese Erfahrungen aus und werden davon profitieren. Die müssen nicht mehr durch diese Blödsinnsphase, sondern stellen Leute an, die ebendiese Erfahrungen gemacht haben. Die wissen, wie man mit E-Commerce Geld verdient.

Welche Finanzierungsmöglichkeiten sehen Sie für die Internetfirmen, außer Venture Capital?

Das Problem ist, dass ihre Zahlungsmodelle noch nicht ausgereift sind. Man kann nicht alle möglichen Konzepte und Businesspläne aufstellen, solange es keinen Weg gibt, auf dem das Geld wieder zurückkommt. Die dot.coms können nur ganz klein mit alternativen Wirtschaftsmodellen anfangen. Davon hat aber auch noch nichts funktioniert. Im Moment befindet sich das System der Micropayments in der Entwicklung. Es bedeutet, dass man beim Runterladen von Musik ein wenig bezahlt. Ich finde, im Netz muss nicht alles umsonst sein. Eine weitere Einnahmequelle ist der Mobilfunk. Da existiert im Unterschied zum Internet schon ein funktionierendes Zahlungssystem, bei dem die Kosten für die abgefragten Inhalte von der Telefonrechnung abgebucht werden. Das ist jetzt noch sehr teuer, wird aber auf lange Sicht rentabel.

Das Herunterladen von Stephen Kings letzter Kurzgeschichte kostete einen Dollar. Aber das war dem Bestsellerautor dann doch zu wenig. Er will sein nächstes Buch wieder in einem Verlag und gedruckt veröffentlichen.

Das Bezahlsystem hat dennoch eindeutig funktioniert, King hatte nur zu große Erwartungen an seinen Gewinn. Verdient hat er zwar eine halbe Million Dollar, das ist aber nichts im Vergleich zu seinem normalen Einkünften aus einem Roman.

Halten Sie eine Verbindung wie AOL und Time Warner für sinnvoll? Sollen die Kosten des Netzzugangs in Zukunft von den Medienunternehmen getragen werden?

Die falsche Annahme der dot.coms war, dass es ein Medium ohne Inhalte gibt und dass für neue Medien die alten Inhalte ausreichen. AOL hat als neues Medium die Infrastruktur, die Nutzer und die Kabel. Time Warner hat die Inhalte, die Zeitschriften, die Verlagshäuser, die Rechte für Musik und anders mehr. Die Leute, die online gehen, sind aber nicht auf der Suche nach alten Inhalten, sondern suchen neben Information neue Formen der Kommunikation. Ich verstehe daher auch die Aufregung in Deutschland um den Relaunch der Website der Bildzeitung nicht. Dieses alte Konzept funktioniert nicht, einfach die Inhalte der Boulevardzeitung mit ein paar Extras komplett ins Netz zu stellen. Das ist so eindimensional gedacht.

Was sollte in der Digitalen Stadt Amsterdam, die Sie vor sieben Jahren mit begründet haben, anders sein als das, was wir heute im Web sehen?

Die Digitale Stadt entstand in einer ziemlich düsteren Zeit, als vom Staat überhaupt nichts zu erwarten war und Holland mit massiven Kürzungen in allen Bereichen zu kämpfen hatte. Die Idee war, eine digitale Öffentlichkeit als Zwischenraum zwischen Markt und Staat herzustellen. Eine Art dritter Raum. Allen war damals klar, dass es einen Markt dafür geben würde, genauso, wie die Behörden bis zu einem gewissen Punkt ihre eigenen Serviceangebote und Dienstleistungen ins Netz stellen würden. Natürlich ist es noch kein Merkmal einer digitalen Öffentlichkeit, wenn man seinen Reisepass über das Web beantragen kann. Nur darüber geht es im Moment leider nicht hinaus.

Ist damit die Idee eines politischen Forums gescheitert?

Nein, ich finde, es funktioniert ziemlich gut. Projekte durchlaufen bestimmte Phasen, und die Beteiligten machen dadurch ihre Erfahrungen. Das sagt im Grunde nicht sehr viel über die Richtung des Internets insgesamt aus. Wir haben mittlerweile genug gelernt, um die Gesetzmäßigkeiten von alternativen Projekten einschätzen zu können. Sicher gibt es Anfangsphasen, in denen ein bestimmter spannender Augenblick aufgebaut wird, der sich nach fünf Jahren verläuft.

Was haben die Beteiligten dabei gelernt?

Ein solches Projekt ist gelungen, weil es sehr früh den Leuten Softwarekenntnisse beigebracht und gleichzeitig einen unabhängigen Geist etabliert hat. Heute sind diese Kenntnisse ungemein verbreitet. Die Benutzer haben durch das breite Angebot im Netz überhaupt keine Überidentifikation mit der Stadt. Sie bauen ihre eigenen Sachen auf und brauchen sie deshalb nicht mehr.

Deshalb hat heute auch die Digitale Stadt Amsterdam massive finanzielle Probleme. Vielleicht muss auch sie aufgelöst werden.

Nun, das passiert ganz vielen Netzprojekten. Das ist an sich nicht schlimm. Die Frage ist, was danach kommt. Zu Beginn war in erster Linie der Access, der Zugang zum Internet, wichtig. Jetzt geht es um die Art des Zugangs, um die Bandbreite, ob das per Kabelmodem geschieht oder mit DSL. Entscheidend ist, ob man nur Daten empfangen oder auch selbst welche zurücksenden kann. Es ist wichtig, nicht wieder nur als Konsument die multimedialen Angebote der Großfirmen herunterzuladen, sondern seine eigenen dezentral anzubieten. Deshalb war in den letzten zwei Jahren das Bedeutendste an der Stadt die Möglichkeit multimedialer Inhalte, also Streaming Media, für interaktives Fernsehen und Radioinitiativen. In fünf oder zehn Jahren wird diese Infrastruktur ungemein wichtig werden, denn die Technik existiert heute, ohne dass einzelne darauf Zugriff haben. Sie ist einfach zu teuer, oder man benötigt für sie zu viel Fachwissen.

vdauerer@t-online.de