Brot und Salz für den Bundeskanzler

Seit das Gerücht umgeht, der Vater von Gerhard Schröder sei in Ceanu Mare begraben, sind die Bewohner des Dorfes in Siebenbürgen aus dem Häuschen. Jetzt konkurriert auch ein zweites Dorf um den Platz des Grabes des Kanzlervaters

aus Ceanu Mare KENO VERSECK

Am Straßenrand stöbern gut genährte Sauen nach Essbarem. Wütende Gänse attackieren vorbeifahrende Pferdewagen. Viele Häuser im Dorf sind frisch gestrichen. Die älteren, volkstümlich gekleideten Leute grüßen den Fremden respektvoll. Manche Männer ziehen ihren Strohhut, so als sei ein hoher Herr gekommen.

Das ist Ceanu Mare. Das rumänische Dorf, in dem der Vater des deutschen Bundeskanzlers begraben sein soll, ein Dorf in Siebenbürgen wie viele andere, zwanzig Kilometer von der nächsten und hundert Jahre von jeder modernen Stadt entfernt, nur sehr viel sauberer als andere Dörfer und neuerdings mit Bauarbeitern, die die Löcher in der Straße mit Teer füllen, denn, wer weiß, vielleicht kommt der Kanzler ganz unerwartet. Bis vor zwei Wochen hat kein einziger hoher Herr jemals diesen entlegenen Flecken zwischen sanften Hügeln betreten. Keiner aus dem Ausland, kein hiesiger. Niemand von den hohen Leuten hat gewusst, dass es Ceanu Mare überhaupt gibt. Und nun ... So sagen die Bauern im Dorf.

Das Grab liegt auf dem Kirchhof, fünf Schritte vor der Kirchtür. Ein eisernes orthodoxes Kreuz steht darauf und ein junger Kirschbaum, der gerade erblüht. Daneben das Heldendenkmal für die gefallenen rumänischen Soldaten aus den Weltkriegen. Alles macht einen sehr gepflegten Eindruck.

Dass im Dorf deutsche Soldaten begraben wurden, steht außer Zweifel. Darüber, wer sie wie begraben hat, gibt es mehrere Versionen. Die Leute im Dorf sind aufgeregt. Würden sich freuen, wenn sie dem Kanzler zeigen könnten: Sie haben sich immer um das Grab seines Vaters gekümmert, ohne Ansehen der Person, der Nation. Das wünschen sich die Leute im Dorf. Sie werden den Kanzler mit Brot und Salz empfangen. So wie es sich für rumänische Bauern gehört.

Der Bürgermeister des 4.800-Seelen-Ortes, Gavrila Oros, begegnet dem Wirbel um den Vater des deutschen Kanzlers zurückhaltend und stolz. „Erst mal muss bewiesen werden, dass er wirklich hier ist. Wenn ja, ob sein Sohn überhaupt kommen will. Eins will ich klarstellen: Wir erwarten nichts, kein Geld oder so. Wir haben unsere Probleme, aber die können wir selbst lösen. Wir sind keine Bettler. Wir freuen uns nur für unser Dorf und für unser Land. Vielleicht entstehen aus dem Umstand, dass sein Vater hier begraben ist, noch bessere Beziehungen zwischen unseren Ländern.“

Das hofft nicht nur der Bürgermeister von Ceanu Mare. Seit die Nachricht vom Grab des Fritz Schröder an die Öffentlichkeit gelangte, herrscht große Aufregung in Rumänien. Ausgerechnet zu Ostern, dem größten und heiligsten Fest der Orthodoxen, geschah es. Ein Zeichen?, fragte sich das ganze Land und freute sich für den Kanzler, als ginge es um den eigenen Verwandten. Zeitungen brachten ganze Seiten über das Ereignis, das Fernsehen Sondersendungen mit Militärhistorikern und Medizinern, die erklärten, wie man die Identität von Toten feststellen könne. Auch bittere Kommentare gab es, wie in der Zeitung Adevarul (Die Wahrheit): „Die Leute in Ceanu Mare hegen die bewundernswerte Illusion, dass sie in den Augen Deutschlands den Rang von Menschen einnehmen. Sie können nicht glauben, dass Rumänien, von Berlin aus gesehen ein Gestade des Verbrechens, des Chaos und des Elends ist.“

Seit einigen Tagen konkurriert ein zweites Dorf um den Platz des Grabes des Fritz Schröder: Ceanu Mic. Einem Militärhistoriker aus der nahe gelegenen siebenbürgischen Metropole Klausenburg war aufgefallen, dass die Kriegsopferakten für den Ort des Grabes den damaligen ungarischen Dorfnamen Pusztacsan angeben. Pusztacsan aber trägt den rumänischen Namen Ceanu Mic, während Ceanu Mare im Ungarischen Mezönagycsan heißt. Die beiden Dörfer liegen immerhin vierzig Kilometer voneinander entfernt.

Auch in Ceanu Mic gibt es Gräber deutscher Soldaten. Gekennzeichnet sind sie nicht. Gheorghe Fodoreanu, ein 75-jähriger Mann, will als Junge beobachtet haben, wie deutsche Soldaten, die in der Dorfschule ein Feldlazarett eingerichtet hatten, auf dem Friedhof Tote begruben, und er kann auch die ungefähre Lage des Massengrabes angeben.

Ceanu Mic ist ein winziges, verschlafenes Nest. Der Pfarrer, Nicolae Marcu, ist einer der wenigen im Dorf, die gehört haben, dass der Vater des Bundeskanzlers hier begraben sein könnte. Er hat gerade ein paar Gläschen Schnaps getrunken, sich ins Bett gelegt und begrüßt den Gast nun im Unterhemd. Seine Frau und seine beiden Töchter arbeiten in Irland, erzählt er. Auf dem Hof stehen ein paar Gebrauchtwagen. Der Haushund heißt zufällig Fritz. Gott, vergib es mir, sagt der Herr Pfarrer.

Er setzt seinen Strohhut auf, zieht die schwarze Lederjacke über, zündet sich eine Zigarette an und lädt den Besucher auf den Kirchhof ein. „Hier neben dem Nussbaum sind drei deutsche Soldaten begraben. So haben es mir die Alten im Dorf erzählt.“ Er weist auf einen Fleck, auf dem gerade altes Gestrüpp verbrannt wurde. Dann sagt er feierlich: „Es wäre eine übergroße Ehre für uns, wenn der Herr Kanzler herkommen würde, denn er ist eine der großen Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft, eine große Führerpersönlichkeit.“