Aufstand der Traumlieferanten

aus New York UTE THON

Stell dir vor, du gehst ins Kino, und es kommt kein amerikanischer Film. Bisher ein ziemlich absurder Gedanke. Doch in Hollywood brauen sich düstere Gewitterwolken zusammen. Drehbuchautoren und Schauspieler drohen mit Streik. Wenn die Künstlergewerkschaften Ernst machen, könnte in Kürze Amerikas gesamte Film- und Fernsehproduktion lahm liegen und es auch bei uns bald knapp werden mit Nachschub aus der Traumfabrik.

Die Gründe für diesen möglichen Streik sind vielschichtig. Zunächst einmal geht es um mehr Geld. Die Tarifverträge der Writers Guild of America (WGA), in der die Drehbuchautoren organisiert sind, laufen am 1. Mai aus, und Hollywoods schreibende Zunft verlangt Tariferhöhungen von durchschnittlich 2,7 Prozent pro Jahr für die neue dreijährige Vertragsperiode. Die Schreiber rechtfertigen die höhere Bezahlung mit den gestiegenen Möglichkeiten der Produzenten für Mehrfachverwertungen ihrer Filme, besonders in den Bereichen Video, DVD, Internet sowie einer Vielzahl neuer Kabelkanäle.

Nun sind Amerikas Drehbuchautoren mit einem jährlichen Durchschnittsverdienst von 84.000 Dollar und Skripthonoraren in Millionenhöhe nicht gerade unterbezahlt. Doch in einer Branche, in der Schauspieler 20 Millionen Dollar für sechs Wochen Arbeit verlangen und Regisseure oft am Gewinn eines Films beteiligt sind, kämpfen auch die Schreiber um Respekt. Die Filmstudios wiederum suchen nach Möglichkeiten zur Kostenminimierung.

Premierenfeiern ohne Schreiber

Tatsächlich geht es den Drehbuchautoren neben dem finanziellen Aspekt um mehr Anerkennung. In Hollywoods starverliebtem Kastensystem rangieren Schreiber ziemlich weit unten. Das war schon in den 30er- und 40er-Jahren so, als selbst berühmte Schriftsteller wie Fitzgerald, Faulkner oder Chandler schockiert feststellen mussten, dass ihre Drehbücher hemmungslos umgeschrieben wurden und für ihre guten Storys hinterher nur der Regisseur die Lorbeeren erntete. Bei telegenen Events wie der Oscar-Verleihung sitzen Schreiber – wenn überhaupt – auf den hintersten Plätzen. Während Schauspieler, Regisseure und Produzenten auf extravaganten Filmpartys mit den Paparazzi flirten, werden die Autoren oft nicht mal zur Premierenvorführung eingeladen.

Eine banale Forderung der Drehbuchzunft ist denn auch die Aufnahme ihrer Namen in die Cast- and Crew-List, damit sie automatisch zu Promotion-Events geladen werden. Außerdem fordern sie Zugang zu den Dreharbeiten, Mitspracherecht bei Skriptänderungen und eine prominentere Position im Abspann und auf den Kinoplakaten. Regisseure werden dort oft mit dem die alleinige Urheberschaft reklamierenden Titel „Ein Film von ...“ angekündigt, auch wenn sie nicht das Drehbuch verfasst haben, während der Autor klein gedruckt ganz zuletzt erscheint. Früher wurden solche Totalitätsansprüche nur großen Regisseuren wie Spielberg oder Scorsese gewährt.

Heute geben die Studios auch jungen Regie-Neulingen oft solche Selbstpräsentationsmöglichkeiten, wenn sie damit das Honorar herunterhandeln können, eine Praxis, die auch unter Vertretern der alten Garde umstritten ist. „Das muss man sich verdienen“, meint zum Beispiel Regieveteran Barry Levinson, der für seinen ersten Film „Diner“ diese Position zurückgewiesen hatte.

Die junge, hippe Hollywoodfraktion findet die Hervorhebung dagegen gerechtfertigt. „Zugegeben, Filmemachen ist ein Gemeinschaftsprozess, doch der Regisseur ist der Truppenführer“, sagt der Regie-Shooting-Star Brett Ratner, 30 („Rush Hour“, „Family Man“). Und Jack Shea, der Präsident der Directors Guild of America, orakelt gar, dass die Forderungen der Drehbuchautoren die Fähigkeit der Regisseure beeinträchtigen würden, „ein Produkt innerhalb der geplanten Zeit und im Rahmen des Budgets fertig zu stellen“.

Nachdem die Gespräche zwischen den Drehbuchautoren und den Produzenten letzten Monat nach sechs Wochen erfolglos abgebrochen wurden, stehen die Zeichen jetzt auf Kampf. Zwar wird hinter verschlossenen Türen weiter fieberhaft verhandelt. Doch die Deadline am 1. Mai rückt unaufhaltsam nahe. Und Hollywood rüstet sich bereits für einen flauen Sommer. Zwar würde die kollektive Arbeitsniederlegung von den 11.000 Writers-Guild-Mitgliedern den Filmbetrieb nicht automatisch lahm legen. Die Studios haben genug Drehbücher gehortet. Doch auch die 135.000 Mitglieder der Schauspieler-Gewerkschaft, deren Tarifverträge am 30. Juni auslaufen, haben Streiks angekündigt. Bei vereinter Front wären die Filmfirmen aufgeschmissen.

So laufen zur Zeit die Produktionen auf Hochtouren, fertig gestellte Filme werden zurückgehalten, damit es bei eventuellen Produktionsausfällen etwas zu zeigen gibt. Am schnellsten würde sich ein Streik im Fernsehprogramm bemerkbar machen. Denn die Produktion von neuen Serienfolgen starten meist Mitte Mai.

Im Kino würde der Streik dagegen erst nächstes Frühjahr, wenn die vorproduzierten Filme abgespielt sind, zu spüren sein. Insider registrieren aber schon jetzt einen interessanten Nebeneffekt. „Große Ereignisfilme, die Vorbereitung und lange Drehzeit brauchen, sind unmittelbar betroffen“, sagt Jeffrey Katzenberg vom DreamWorks-Studio. „Die meisten Filme, die vor dem Streik noch schnell in die Produktion geschleust werden konnten, sind kleine Filme mit kurzem Drehplan.“ Der Streik könnte Hollywood also unfreiwillig zu einer Neubesinnung zwingen: weg vom teuren Actionfilm, hin zum flotten Kammerspiel – was Kinobesuchern und internationalen Filmeinkäufern einige Abwechslung bescheren würde.

So genannte Boutique-Studios wie Miramax oder Sony Pictures Classics, die oft auf ausländische Produktionen setzen, reiben sich bereits die Hände. Ein Erfolgsfilm wie Ang Lees „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, der in Hongkong gedreht wurde, wäre von dem Streik nicht betroffen.

Die volkswirtschaftlichen Nebeneffekte sind allerdings nicht ohne: Richard Riordan, der Bürgermeister von Los Angeles, warnt, dass ein Streik der örtlichen Wirtschaft 6,9 Milliarden Dollar kosten könnte. Eine von ihm in Auftrag gegebene Studie prognostiziert, dass rund 82.000 Arbeitsplätze gefährdet sind und der Stadt Steuereinnahmen in Millionenhöhe verloren gingen. Auch die Gewerkschaftsvertreter der Studioarbeiter, Zimmerleute, Kulissenträger, Fahrer und anderer äußern Kritik an der Hardliner-Position der Drehbuchschreiber. „Normalerweise achten wir die Streikposten anderer Gewerkschaften“, sagte Gewerkschaftsführer Leo Reed. „Doch wenn die Schreiber streiken, und es gibt Arbeit zu machen, stehe ich auf der Seite meiner arbeitenden Mitglieder.“

Doch die Schreiber haben schon prominente Fürsprecher rekrutiert. Dauertalker Jay Leno der NBC-„Tonight Show“ hat angekündigt, dass er im Falle eines Streiks nur Wiederholungen zeigen würde. Und auch David Letterman produzierte bei dem letzten Streik 1988 aus Solidarität sechs Wochen lang keine neuen Shows.

Was den professionellen Respekt angeht, hat Louis Malle das Dilemma der US-Schreiber einst auf den Punkt gebracht. Als der französische Regisseur 1980 in den Staaten „Atlantic City“ drehte, erklärte er den verblüfften US-Produzenten, warum er darauf besteht, den Drehbuchautor John Guare bei den Dreharbeiten dabeizuhaben: „Wenn man auf dem Set jemanden für die Haare braucht, warum dann nicht auch jemanden für Worte?“