Polizei übt sich im Zurückrudern

Absperrungen und Ausweiskontrollen in großem Umfang soll es am 1. Mai nun doch nicht geben. Polizeipräsident setzt auf „Normalität“. Werthebach-Sprecher: „Wir sind doch kein Polizeistaat“. Grün wird es dennoch: 9.000 Polizisten sind im Einsatz

von DIRK HEMPEL

Bei Polizeiführung und Innenverwaltung ist offenbar Schadensbegrenzung angesagt. Gestern zeigten sich beide Stellen bemüht, den polizeilichen Großeinsatz am 1. Mai klein zu reden. Die Situation soll keinem Ausnahmezustand gleichen, viel mehr will die Polizei nach Angaben des Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky in Stadtvierteln wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg „Normalität einkehren“ lassen.

Weiträumige Absperrmaßnahmen seien nicht geplant. Auch „sind keine flächendeckenden Ausweiskontrollen vorgesehen“, so Saberschinsky weiter. Am Mittwoch hatte der Polizeipräsident noch in einem Zeitungsinterview geäußert, es sei „mehr als sinnvoll, wenn der Bürger sich rund um den 1. Mai ausweisen kann“. Nun heißt es, es gebe lediglich für „einen überschaubaren Personenkreis“, der in den Vorjahren bereits aufgefallen sei, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.

Ähnlich äußerte sich auch der Sprecher von Innensenator Eckart Werthebach (CDU), Stefan Paris: Zwar sind etwa 9.000 Beamte am 1. Mai im Einsatz, größere Einschränkungen oder Berlin-weite Präventivmaßnahmen seien aber nicht geplant. „Wir sind doch kein Polizeistaat“, betonte Paris. Dennoch werde es am 1. Mai „in bestimmten Bereichen sehr grün sein“.

Die neue verbale Vorsicht von Polizei und Innenveraltung geht offenbar auf die Kritik an der Strategie von Werthebach zurück. Gestern erklärte Andreas Matthae, stellvertretender Landesvorsitzende des Koalitonspartners SPD, das ausgesprochene Demonstrationsverbot wirke „eher eskalierend“. Eine Einschätzung, die offenbar auch in hochrangigen Polizeikreisen geteilt wird.

Nach Informationen der taz befürchten Beamte, die jetzige Situation sei für die Einsatzleitung unüberschaubar. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als die Randale im Anschluss an den Aufzug für die Polizei relativ kalkulierbarer und kontrollierbar war, ist durch das Verbot eine komplexere Situation entstanden. Diese verspricht der Polizei einen arbeitsreichen Tag der Arbeit. Weiträumige Absperrungen oder flächendeckende Ausweiskontrollen wären da nur eine weitere Belastung.

Für diese Maßnahmen fehlt zudem die Rechtsgrundlage. Auch bei Bestehen des Demonstrationsverbotes müsste die Polizei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit waren und dürfe keinen ganzen Stadtteil abriegeln, so Jurist Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus: „Der von Saberschinsky angekündigte mentale Belagerungszustand in der Stadt ist nicht zulässig.“ Deswegen fordert Wieland von der Innenverwaltung eine Rücknahme des Demoverbots.

Ganz so weit wollen Polizei und Innenverwaltung allerdings nicht zurückstecken. Sie berufen sich darauf, dass nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Platzverweise ausgesprochen werden können, wenn zu vermuten ist, dass Personen an einer verbotenen Demonstration teilnehmen wollen.