JAPANS NEUER PREMIER MUSS DIE VERGANGENHEIT ZUM THEMA MACHEN
: Unkonventionell und reformfreundlich

Zweifellos, Japans neuer Ministerpräsident Junichiro Koizumi hat seinen ersten Test als ernsthafter Reformer bestanden. Ein so profiliertes Kabinett, wie Japan nun erhalten hat, gab es eigentlich noch nie. Nicht einmal Morihiro Hosokawa, der 1993 ebenfalls als Reformer antrat, vermochte damals eine derart überzeugende Mannschaft zu präsentieren.

Koizumi hat in den vergangenen Tagen viel geschafft. Erst überzeugte er die Parteibasis und erzielte einen Erdrutschsieg. Daraufhin gewann er mit seinem Kurs die LDP-Abgeordneten im Parlament und sagte den alten Parteibossen mit ihrer verruchten Hinterzimmertaktik den Kampf an. Erfolgreich. Und nun hat er ein Kabinett vorgestellt, das fünf Frauen, fünf Reformer und fünf moderate, aber einflussreiche LDP-Politiker umfasst. Dazu stößt ein bekannter Wirtschaftsexperte, der das mächtige Handelsministerium leiten wird.

Die Gratwanderung zwischen Parteiinteresse und Volkswille ist Koizumi bisher gelungen. Selbst der Markt klatschte Beifall. Nun beginnt allerdings die richtige Schwerarbeit. Die Wirtschaft wird das Hauptthema sein, und da muss die neue Regierung schnell einen gangbaren Weg für eine langfristige und echte Erholung aufzeigen. Außenpolitisch muss Japan sich nun entscheiden, ob es weiterhin im Schatten der USA als Duckmäuser dastehen oder in den nächsten Jahren eine aktive Rolle in der Friedenssicherung Asiens spielen will. Die Koizumi-Regierung tendiert in diese Richtung.

Das heißt aber, dass Japan seine Kriegsgeschichte endlich ehrlich aufarbeiten muss – und wahrscheinlich auch seine Wirtschaftsgeschichte. Das sind dornige Themen, und zu Recht bezweifelt noch die Mehrheit, dass es der Liberaldemokratischen Partei gelingt, diese Tabuthemen grundsätzlich zu diskutieren. Aber erst dann kann eine politische Erneuerung Japans stattfinden, die letztlich für die wirtschaftliche Erholung wichtiger ist als die bestausgedachte Wirtschaftspolitik. Wenn Koizumi seinen energiereichen Siegeszug weiterführt, sollten auch diese Themen schon bald auf der Agenda in Tokio stehen. ANDRÉ KUNZ