Die nächste Illusion

Ausländerbeauftragte Beck sieht Gefahr der Verengung in aktueller Migrationsdebatte. Es gebe keine passgerechte Zuwanderung

von SEVERIN WEILAND

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung zeigte sich zufrieden. Die jüngsten Bekundungen der Union, auf eine Änderung des Asylrechts vorerst zu verzichten, sei auch auf die unter Rot-Grün geleistete Überzeugungsarbeit zurückzuführen. Nach und nach, so Marieluise Beck in einem Gespräch am Mittwochabend in Berlin, habe es „Rückzugsgefechte von Bayern bis hin zur Union“ gegeben. Lediglich der Vizefraktionschef der CDU/CSU, Wolfgang Bosbach, hat in den Augen der Grünen-Politikerin von Anbeginn darauf hingewiesen, dass ein deutscher Alleingang beim Asylrecht zu keiner bedeutsamen Verringerung der Bewerberzahlen führt. Schließlich sei die Bundesrepublik durch internationale Verpflichtungen gebunden, etwa die Genfer Flüchtlingskonvention.

Bei der Einwanderungsdebatte, in der sich ein Punktesystem nach dem kanadischen Vorbild abzeichnet, sieht Beck die Chance für einen breiten Konsens. Dass die Union die Zuwanderung zum Wahlkampfthema machen könnte, sei zwar nicht auszuschließen. Doch würden sich CDU/CSU in solch einem Falle ein „Stück weit von einem Modernisierungsprojekt abkoppeln“, das auch von der Industrie gewünscht wird. In der Frage fester Quoten sieht Beck Bewegung. Angesichts der EU-Freizügigkeit und dem Recht auf den Familiennachzug seien solche Forderungen kaum praktikabel.

Angesichts der Vielfältigkeit der Materie werde es, glaubt Beck, ein einziges, in sich abgerundetes Einwanderungsgesetz nicht geben. Stattdessen werde man es „mit einem Paket an Regelungen zu tun haben“. Rot-Grün, so Becks Überzeugung, werde noch in dieser Legislaturperiode mit gesetzlichen Regelungen bei der Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen beginnen. Erst 2010 werde der Arbeitskräftemangel seinen Höhepunkt erreichen. Das gebe der Politik die Möglichkeit, sich ein „Stück weit flexibel zu halten“.

Der von der Union, aber auch von SPD-Fraktionschef Peter Struck kürzlich verlangte Zwang zum Spracherwerb geht für die Ausländerbeauftragte teilweise an den Problemen vorbei. Viele Gruppen der Neuankömmlinge – Bürger der EU, aber auch die durch ein Assoziationsabkommen mit ihnen gleichgestellten Türken – seien zum Sprachererwerb gar nicht zu verpflichten. Zudem entfalle von der jährlichen Ausgabe des Bundes für die Sprachförderung der allergrößte Teil – 286 Millionen von 320 Millionen Mark – auf Aussiedler, anerkannte Asylbewerber und Kontingentflüchtlinge. Lediglich 34 Millionen stünden für Teilnehmer aus früheren Anwerberstaaten und ehemalige DDR-Vertragsarbeitnehmer zur Verfügung. Entsprechend lang seien daher die Wartelisten bei Sprachkursen, etwa für türkische Mütter. Bildungsdefizite der Einwanderer und der bereits hier lebenden Migranten sind für Beck auch Teil eines weit gefassten Unterschichtenproblems, das nicht allein mit Sprachkursen zu lösen sei. Hier seien etwa Ganztagsschulen ebenso notwendig wie Hilfen für Elterninitiativen.

Beck warnte davor, nach dem Glauben der 60er-Jahre auf eine baldige Rückkehr der Migranten jetzt der nächsten Illusion zu verfallen. Es gebe keine „passgerechte, sozial verträgliche Zuwanderung“, die Probleme wie in Berlin-Kreuzberg mit seinem hohen Migrantenanteil vermeiden helfe.

Thema: Wie wollen wir miteinander auskommen? ... multikulturelle Gesellschaft. So., 13 Uhr