Vom Arbeiter zum Schriftsteller

Heute vor hundert Jahren wurde der Journalist Willi Bredel geboren  ■ Von Bernhard Röhl

Heute vor hundert Jahren kam in der Rosenstraße 20 im dritten Stock in der Altstadt ein Junge auf die Welt. Im Standesamt trug der Beamte den vollständigen Namen des Babys ein: Carl Willy Friedrich Bredel. Der Vorname Carl war der seines Vater, Arbeiter in einer Zigarrenfabrik. Bekannt wurde Bredel aber unter seinem zweiten Namen – Willi Bredel, der Journalist und Schriftsteller.

Als Bredel 40 Jahre alt war, erschien in der Moskauer Zeitschrift „Internationale Literatur“ der erste Band seiner Romantrilogie – zunächst unter dem Titel „Verwandte und Bekannte“ – der Roman über seine Familie, die von der Hamburger SPD-Tradition geprägt war. Später erhielt das Buch den Titel „Die Väter“. Der Autor nennt sich in dem Roman „Walter Brenten“ und schildert darin seine Geburt in der Hamburger Altstadt. Der noch junge Vater ist auf einer Sauftour, während die Geburt beginnt. Die Hebamme ist nicht aufzufinden. Endlich gelingt es, eine Bordellwirtin aufzutreiben, die Geburtshilfe leistet. Ob sich Bredels Geburt tatsächlich so zugetragen hat, ist allerdings nicht bekannt.

Von 1908 bis 1916 besuchte er die Volksschule in der Spitaler Straße 6 und verließ sie mit einem ausgezeichneten Zeugnis. Vom neunten bis zum 15. Lebensjahr sang er im Stadttheater an der Dammtorstraße als Chorknabe – und stand 1913 sogar mit dem berühmten Enrico Caruso auf einer Bühne. Für jeden Auftritt kassierte der Knabe 50 Pfennig oder eine Mark, damit trug er zum Familieneinkommen bei.

Von 1916 bis 1920 lernte Bredel das Dreherhandwerk in Hamburg. In dieser Zeit schloss er sich dem Metallarbeiterverband und der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Im Jahr 1917 trat er dem Spartakusbund bei, später der KPD, seiner künftigen politischen Heimat. Zwischen 1926 und 1927 arbeitete Bredel als Dreher in der Maschinenfabrik Nagel & Kamp, die Beschäftigten wählten ihn in den Betriebsrat.

Nebenbei engagierte er sich bereits im Kulturleben: Bredel hatte die Journalistenlaufbahn eingeschlagen, war Redakteur der Hamburger Volkszeitung und 1926 zum Vorsitzenden des Hamburger Volksfilmverbandes gewählt worden. In dieser Eigenschaft lud er den sowjetischen Starregisseur Sergej Eisenstein 1928 nach Hamburg ein. Dessen Film „Panzerkreuzer Potemkin“ – der lange Jahre als bester Film aller Zeiten galt – war in Deutschland zwei Jahre lang verboten gewesen, weil er als „kommunistischer Propagandafilm“ galt. Als der Regisseur 1929 Bredels Einladung nach Hamburg folgte, geriet der Besuch zu einem Triumphzug. Die Schauburg am Millerntor war überfüllt, als Eisenstein dort eine Rede hielt.

1930 wurde Bredel vom 4. Strafsenat des Reichsgerichtes in Leipzig wegen „Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat“ zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Er hatte im Februar 1929 einen Bericht über geheime Rüstungsproduktion im Lübecker Dräger-Werk veröffentlicht. Auch die Berichterstattung in der HVZ über den so genannten Berliner Blutmai, bei dem der dortige SPD-Polizeipräsident eine linke Demonstration niederschießen ließ und 33 Menschen starben, wurde dem Redakteur zur Last gelegt.

In der Haftzeit verfasste er die Romane „Maschinenfabrik N. & K.“, „Rosenhofstraße“ und „Der Eigentumsparagraph“. Nach seiner Entlassung nahm er die Arbeit bei der Zeitung wieder auf. Er sprach zudem auf Versammlungen von KPD und SPD. Sein Engagement wurde ihm nach der Machtübergabe an die Nazis 1933 schnell zum Verhängnis. Schon am 1. März 1933 wurde er verhaftet – verantwortet vom noch amtierenden Polizeipräsidenten Schönfelder, der der SPD angehörte.

In seinem 1934 erschienenen Buch „Die Prüfung“ schilderte Bredel die schlimme Haftzeit von 13 Monaten, davon elf in Einzelhaft in Fuhlsbüttel. Nachts misshandelten SS-Wachen mit Ochsenziemern, Stuhlbeinen, Peitschen und Totschlägern die Häftlinge. Bredel trug sich mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Überraschend kam er im April 1934 frei, musste sich jedoch täglich bei der Gestapo melden. Bredel entschied sich, Deutschland zu verlassen und entkam über Prag in die Sowjetunion. Dort gab er gemeinsam mit Brecht und Feuchtwanger die Zeitschrift Das Wort heraus.

Er entging den Nazis und kam in ein Moskau, das im Zeichen der Stalinschen Säuberungen und Schauprozesse stand. Vom 4. bis 9. September tagte in vier Nachtsitzungen die „deutsche Kommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes“. Bredel gab unter dem Titel „Die Säuberung“ einen Generalbericht ab: „In welcher politischen Situation stünden wir, wenn es den Schuften und Konterrevolutionären gelungen wäre, auf dem VII. Weltkongress wirklich auf den Genossen Stalin zu schießen? Was wäre gekommen, Genossen, wenn nicht die wachsame GPU (die Geheimpolizei Stalins) zugegriffen hätte? Es wäre der Krieg ausgebrochen“, sagte Bredel und nennt die Namen von sieben deutschen Schriftstellern, die er als Konterrevolutionäre bezeichnet, verbunden mit einer unterwürfigen Selbstkritik: „Ich möchte meine Ausführungen beginnen mit einer Darlegung meiner Versäumnisse, mit einer Kritik an meinen Fehlern, die ich mir in der Zusammenarbeit mit euch in Moskau vorzuwerfen habe.“

Von den Autoren, die unter anderem von Bredel denunziert worden waren, wurden die meisten umgebracht. Einer von ihnen war Heinrich Meyer, der 1925 als Redakteur ebenfalls bei der Hamburger Volkszeitung arbeitete und 1929 ihr Chefredakteur wurde. 1937 wurde er im Moskauer Hotel Lux von Stalins Geheimdienst festgenommen und zum Tode verurteilt.

Bredel berichtete dem Leiter des Ostberliner Aufbau-Verlages, Walter Janka, 1956 vom Fall Meyer. „Als ich mich verabschiedete, fragte ich Bredel: Wirst du irgendwas darüber schreiben? Die Geschichte ist ein faszinierender Stoff. Bredel sah mich lange an, bis er mit Nein antwortete“, erinnert sich Janka.

1937 wirkte Bredel im Spanischen Bürgerkrieg als Kommissar im Thälmann-Bataillon der 11. Internationalen Brigade, bevor er zwei Jahre später nach dem Sieg Francos in die Sowjetunion zurücckehrte. In Stalingrad wurde er 1943 Zeuge des Fiaskos der 6. deutschen Armee. Im gleichen Jahr gehörte er zu den Mitbegründern des Nationalkomitees Freies Deutschland, das sich von Moskau aus Widerstand gegen Hitler propagierte.

Noch vor der Kapitulation Nazi-Deutschlands kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete in Mecklenburg den sozialistischen Kulturbund. Vier Jahre später zieht er nach Berlin um. Er wird Mitglied im Zentralkommitee der SED und 1962 Präsident der Akademie der Künste. Willi Bredel stirbt am 27. Oktober 1964 in Ostberlin an einem Herzinfarkt.