Krummer Rücken für immer

■ Wenn Schulsport immer öfter ausfällt, bleibt die Motorik unterentwickelt und Schäden sind abzusehen / Die bewegungsfaulen Kids sind die Kranken von morgen

Kletterbäume – das war einmal. Zwar reckt sich auch im Stadtdschungel noch die ein oder andere Eiche einladend gen Himmel. Nur Kinder bleiben den dicken Ästen besser fern. Außer im Computer wird nicht mehr gekraxelt. Und wenn, würden sie vielleicht noch hochkommen, „aber ohne Feuerwehrhilfe nicht wieder runter“. Das meint zumindest der „Runde Tisch Schulsport“. Denn wegen der Masse an ausgefallenen Sportstunden in Bremens Schulen sinkt die Bewegungsfähigkeit der Kids enorm. Selbst Rückwärtslaufen macht den I-Dötzen Probleme.

Nur regt sich kaum jemand darüber auf, wenn in der Schule die Bewegung zu kurz kommt. Dabei sind es inzwischen 30 Prozent der Sportstunden, die zwar offiziell im Stundenplan stehen, in Bremen aber nicht erteilt werden. Vor allem die dritte Sportstunde pro Woche wird regelmäßig Sitz- und Hauptfächern wie Mathe, Deutsch und Englisch geopfert. Nach Untersuchungen des „Runden Tisches“ steht es schlecht um den Bremer Sportunterricht: Wenn geturnt wird, dann meist auf alten Anlagen und bei alten Lehrern. Die meisten Grundschullehrer unterrichten das Fach ohne adäquate Ausbildung. Außerdem ist der Anteil der über 50-Jährigen ausgebildeten Sportlehrer in Bremen inzwischen bei über 60 Prozent. Auch die Sportanlagen müssen dringend modernisiert werden. Moderne oder aufwendigere Sportarten haben da kaum eine Chance.

Die Folge: Jedes vierte Kind in der Grundschule hat Koordinationsprobleme und kann zum Beispiel nicht mal balancieren. Jedes zweite Kind hat Haltungsschäden. Während vor fünf Jahren noch fast 95 Prozent der Kinder schwimmen konnten, sind es heute nicht mal 80 Prozent. Auch zu Hause wird lieber gefaulenzt: An Straßenspielen kannten Kids früher über 100 Varianten. Heute nur noch fünf.

Die Aussichten: Mindestens zwei Milliarden Mark wird die Bewegungsunfähigkeit dem Gesundheitssystem in den nächsten Jahren noch kosten, rechnet die Barmer Krankenkasse. Denn was in den „sensiblen Phasen nicht entwickelt wird, kann nie mehr nachgeholt werden“, heißt es bei den Medizinern. Und auch die Unfallhäufigkeit steigt wegen Koordinationsschwierigkeiten. Ein Sportlehrer berichtet sogar, dass die Kinder beim Sprinten kaum noch stoppen können – und zum Teil am Ende gegen die Wand donnern.

Darum haben „Runder Tisch“, Barmer, Landessportbund und Zentralelternbeirat jetzt einen ers-ten Aufruf für den Sportunterricht gestartet: 75.000 Broschüren werden an die Schulen verteilt – bezahlt wird das Ganze von der Barmer. „Wir wollen lieber in die Gesundheit als später in Krankheiten investieren“, erklärt Geschäftsführer Klaus Pohl.

Die Aktion, die es auch schon in anderen Bundesländern gab, soll vor allem die Eltern mobilisieren, sich für das Bewegungsfach einzusetzen. „Den meisten ist doch gar nicht klar, wie wichtig das ist“, meint Vera Biermanns, Sprecherin des Zentralelternbeirats. „Nur beim Sport können Kinder auch Aggressionen loswerden. Teamfähigkeit üben.“

Nicht zuletzt unterstützen die meisten Erziehungsberichtigten die Abstinenz vom Sport und die Gesundheitsschäden von morgen. „Gefälligkeits-Entschuldigungen“ und Atteste für den Sportunterricht werden immer mehr, meinen Sportlehrer. „Dabei gibt es immer Sachen, die man selbst mit gebrochenem Arm mitmachen könnte“, meint Vera Biermanns.

Der Sportunterricht ist vor allem auch Bindeglied zu den Vereinen. Ohne Schulsport kein Interesse an einzelnen Sportarten. Den meisten Vereinen bleibt deshalb langsam Nachwuchs aus. Auf ganzer Linie also Bewegungsmangel, dickere Kinder, immer häufigere orthopädische Probleme schon bei Fünft-klässlern. Nach Auskunft der Barmer zahlen die Kasen inzwischen Kurse und Reha-Maßnahmen für acht- bis neunjährige Kinder, „damit sie wieder an normale Bewegung und Ernährung herangeführt werden“. pipe