DAS NEUE AMT MACHT DEN KANZLER ZUM KOMPLIZEN DER MEDIEN
: Glücksfall für Schröder

Man hat es bis zum Überdruss gehört: Dem Kanzler gefällt sein neuer Amtsitz nur mäßig. Zu groß, zu protzig. Sollen wir Gerhard Schröder, der heute den Bau offiziell in Berlin einweiht, das wirklich glauben? Kokettiert da nicht einer mit der deutschen Bescheidenheit, die sich auch im Baulichen auszudrücken habe? Man mag Schröders Zurückhaltung auch deshalb nicht ernst nehmen, weil sie sich so augenscheinlich einordnet in die veröffentlichten Urteile. Kaum ein Medium, das den Bau nicht kritisierte, das den Architekten nicht unterstellte, was nie in deren Absicht lag: dem deutschen Größenwahn ein Denkmal zu setzen.

Dabei wurde der Bau, unbeabsichtigt natürlich, für einen Mann vom Schlage Schröders geschaffen. Eben für einen Kanzler der Mediendemokratie. So gesehen war Helmut Kohl von Anbeginn der falsche Mann für den angestrebten Zweck. Der Pfälzer war eben nicht, was er zu sein glaubte und wofür er das Kanzleramt errichten ließ: ein Schauspieler auf Staatskosten.

Allen voran den Medien soll der Neubau dienen – mit einem Pressesaal, der den Aufritt des Kanzlers zum spannungsgeladenen Ritual erhebt. In ihrer erwünschten Gegenwart lag der Grundwiderspruch, der die Planungen in der Ära Kohl von Anbeginn begleitete. Denn für den Altkanzler waren die Journalisten im Grunde genommen Gegner, die auf Abstand gehalten werden mussten. Gemessen an dieser Haltung übertölpelte Kohl sich selbst. Gerade die Anwesenheit der Kameras, nicht ihre als lästig empfundene Präsenz, ist Voraussetzung für alles, was an dieser Stelle gelingen soll. Erst durch ihre Bilder wird der Neubau seiner Bestimmung zugeführt.

Kohl konnte diesen Widerspruch nie lösen: Er liebte die Macht der Inszenierungen, aber nicht diejenigen, die ihr mit ihren Bildern Wirkung verschaffen. Das wird erst Schröder gelingen. Denn der neue Sitz erwartet vor allem eines: die Komplizenschaft zwischen Produzenten und Darsteller. Insofern ist das Erbe Kohls ein Glücksfall für seinen Nachfolger. Schröder wird dies zu würdigen wissen. Wenn er es nicht irgendwann selbst öffentlich sagt: Die Bilder seiner Auftritte werden ab heute den Beweis liefern. SEVERIN WEILAND