Auch fünf Mark ist teuer genug

Für Aidskranke in Südafrikas größtem Krankenhaus hat sich trotz des Sieges der Regierung gegen die Pharmakonzerne im Streit um billige Medikamente nichts geändert. Gespräche, Vitamine, am Schluss Antibiotika – mehr ist an Behandlung nicht drin

aus Soweto MARTINA SCHWIKOWSKI

Ruhig und gefasst scheint sie auf das Schicksal zu warten. Mit Engelsgeduld sitzt Annikie auf ihrer Holzbank im Chris Hani Baragwanath Hospital in Soweto, dem riesigen Township im Südwesten von Johannesburg. Mütter mit ihren Babies reihen sich in die Warteschlange zur Untersuchung. Annikies kleine Enkeltochter Lerato ahnt nichts davon, dass in wenigen Minuten jemand ihrer Oma mitteilen wird, ob sie Glück hatte oder ebenfalls den tödlichen Virus in ihrem Blut trägt. Sie ist nur ein Jahr und vier Monate alt und die Chancen auf ein langes Leben sind eher gering. Die Großmutter lackiert dem Kind zum Zeitvertreib die Fingernägel und sagt leise: Ich bete zu Gott.

In der Familie von Annikie Musi hat der Virus bereits zwei der fünf Töchter das Leben gekostet. Um deren Kinder kümmert sich die 51-jährige Oma. Einige sind HIV-positiv. Schwiegersöhne starben, Verwandte hinterließen Waisen. Unterstützung gibt es nicht. Annikies Mann fiel kurz nach ihrer Heirat einer Gewalttat zum Opfer. Mit dem Aidstod einer ihrer Töchter ist nun die Lebensunterhalterin der Familie gestorben. „Die Miete kann ich nicht zahlen, ich warte, bis sie mich raussetzen“, sagt sie. „Licht und Wasser versuche ich abzustottern, damit wir nicht im Dunkeln sitzen.“

Von dem Sieg der südafrikanischen Regierung im Rechtsstreit gegen die mächtige Pharmaindustrie um die Zulassung billiger Aidsmedikamente spürt die Frau nichts. Selbst Gesundheitsministerin Dr. Manto Tshabalala-Msimang bestätigte nur wenige Minuten nach dem Rückzug der 39 Multikonzerne aus dem Gerichtsverfahren am 19. April, dass Aidsmedikamente für die Masse der südafrikanischen Bevölkerung zu teuer bleiben. Auch mache sie sich Sorgen um die hohen Nebenwirkungen der Medikamente. Aus diesem Grunde war bis vor kurzem das Präparat Nevirapin, welches das Übertragungsrisiko des Virus von Mutter auf Kind halbieren soll, nicht zugelassen.

In einer speziellen Forschungsabteilung für HIV-infizierte Mütter im Baragwanath-Hospital – mit 3.500 Betten das größte Krankenhaus der südlichen Hemisphäre – werden diese Medikamente jedoch verabreicht. „Wir haben die Erlaubnis der Regierung und werden auch von ausländischen Spendern mitfinanziert“, sagt die Ärztin Lucy Connell. Doch an der Mehrheit der Mütter in der Hauptklinik gehen diese Möglichkeiten vorbei. Oft werden ihre Namen in einen Hut geworfen, und wer Glück hat, kommt in den Vorzug dieser Behandlung.

Viel können die Ärzte normalerweise nicht tun für HIV-Patienten. Gespräche zur Stärkung der Seele, Multivitamine und Antibiotika gegen das schlimmste Übel – mehr ist nicht drin. Die Mehrheit der Kranken ist arbeitslos und daher nicht krankenversichert. Mit fünf Mark für eine Behandlung sind die Kosten schon auf ein Minimum reduziert, aber auch das ist teuer genug, wenn man kein Geld hat. Und viele Patienten weigern sich, einen Test machen zu lassen. Das Stigma ist noch groß.

All das wird sich jetzt nicht so schnell ändern. Nach dem faktisch gewonnenen Verfahren gegen die Pharmaindustrie kann von Siegesruhm in Südafrika nicht die Rede sein, denn die Regierung hat versäumt, eine Grundversorgung für alle zu schaffen. So geht der Kampf der Aidsaktivisten weiter. Sie wollen mehr Druck auf Regierung und Pharmaindustrie ausüben, um die Preise für Aidsmedikamente weiter zu senken. Sie fordern bis Juni einen Behandlungsplan gegen Aids. Für die 4,7 Millionen HIV-positiven oder aidskranken Menschen in Südafrika – und das ist nur die Spitze des Eisbergs – bedeuten erschwingliche Aidsmedikamente die Bewahrung vor dem allzu schmerzhaften und schnellen Tod.

Der Ausgang des Streitfalles war dennoch ein Schritt in die richtige Richtung, glaubt Dr. Lucy Connell im Baragwanath-Krankenhaus. „Erstmals mussten Pharmahersteller eingestehen, dass menschliches Leben wichtiger ist als Profit.“ Dieser Gedanke bleibt für Annikie Theorie. Sie wartet auf einen neuen Test für ihre kleine Enkelin. Im Moment zeigen sich keine Viren in Leratos Blut. Aber erst im Alter von 18 Monaten ist das Testergebnis sicher.