Ästhetik der Hässlichkeit

Inspiriert vom Nouveau Roman: Die Compagnie Muriel Bader mit La folie du monde triomphe auf Kampnagel  ■ Von Irmela Kästner

„Was macht eigentlich Muriel Bader?“, hat man sich des Öfteren gefragt, nachdem die Schweizerin und 1994 erste Choreografin in Residence zu Beginn der Intendanz von Res Bosshart auf Kampnagel ihr Stück Les Colonnades erarbeitet und aufgeführt hatte. Nun, da sie urplötzlich mit der Uraufführung des Tanztheaterstücks La folie du monde triomphe wieder im Spielplan der Kulturfabrik auftaucht, braucht sie die Antwort nicht schuldig zu bleiben. „Das Verrückte der Menschheit wird triumphieren“, interpretiert die strohblonde Tänzerin und Choreografin den Titel und knüpft damit womöglich an die eigene Unberechenbarkeit an. „Die Zeit ist so“, bemerkt sie, „alles, was ich um mich herum beobachte, in Technik, Wirtschaft und in Beziehungen, im Positiven wie im Negativen, lässt mich zu diesem Schluss kommen.“ Nein, die Vernunft werde nicht siegen, glaubt sie. Und die Liebe? Wohl kaum.

Nicht zum ersten Mal dient Bader Marguerite Duras, und mit ihr die Literatur des Nouveau roman als Inspirationsquelle. Véra Baxter und die Atlantikstrände gab die Vorlage für Les Collonades. Jetzt ist es der Roman Der Mann im Flur, aus dem Textauszüge in die Aufführung einfließen. Weitere Texte werden hinzukommen. „Letztendlich“, meint Bader, „ist die Grundproblematik, das Sich-nicht-annähern-Können, bei Duras immer dieselbe.“ Kurzfristig habe sie überlegt, Texte weiterer Vertreter des Nouveau Roman zu verwenden und neben Nathalie Sarraute auch Samuel Beckett zu Wort kommen zu lassen. Aber die Liebe werde von Frauen eben ganz anders wahrgenommen als von Männern, sagt sie. „Wie homogen bleibt das Stück, wenn eine Männerstimme hinzukommt, habe ich mich gefragt?“ – und den Beckett-Gedanken wieder verworfen.

Der Mann, der Tänzer Mario Paolo Nuñes Inacio, tanzt, während die Frau, die Hamburger Schauspielerin Annette Uhlen, spricht. Die Dritte im Bunde dieser Menage-à-trois ist die Choreografin selbst. Auch sie wird ausschließlich tanzen. „Es ist mir schon wichtig, dass jemand „Bühnendeutsch“ beherrscht.“ Aber was das Handwerk angeht, da ist sie ganz konservativ, hält trotz der Verzahnung der Genres, an den Konventionen der einzelnen Sparten fest.

Choreografisch denkt Muriel Bader allerdings heute deutlich weniger in fest gefügten Schrittfolgen als noch vor sieben Jahren. „Vielleicht“, vermutet sie, „kehre ich sogar zu den Wurzeln zurück, bei denen das Tanztheater ursprünglich einmal ansetzte, nämlich zur Bewegung.“ Ihre choreografische Arbeit für Theater und Oper und das Trainieren von Schauspielern während der letzten Jahre in Basel, Zürich und St. Gallen, habe ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf Emotion und Rollenentwicklung gelenkt. „Ich forsche nach der Aussage einer Bewegung, woher sie kommt und warum ich sie mache.“

Für Inacio ist dieses Vorgehen auch eine Frage der Reife. „Ich bin heute mehr in der Lage, in ein Gefühl oder eine Situation hineinzugehen“, beschreibt der in Amsterdam lebende Portugiese, der bereits in Les Colonnades mitwirkte. La folie du monde triomphe entstand in enger Zusammenarbeit der Choreografin mit ihren beiden Protagonisten Anette Uhlen und Inacio. Die Idee zu diesem Stück, entsprungen aus einer Serie von Fotografien, gärte bereits zwei Jahre lang. Großformatige Diaprojektionen, die das Dreiecksverhältnis zwischen den zwei Frauen und dem einen Mann auf der Bildebene widerspiegeln, schieben sich zwischen Schauspiel und Tanz. „Sie lenken den Fokus“, sagt Bader „und geben in Nahaufnahmen Details preis, greifen den voyeuristischen Blick aus Duras' Der Mann im Flur auf: „Der Kopf ist immer noch vom Körper abgewandt auf den Arm gesunken. Nunmehr verweilt sie in dieser obszönen, bes-tialischen Pose. Sie ist hässlich geworden, sie ist geworden, wie sie als Hässliche gewesen wäre. Sie ist hässlich. Sie verharrt da, heute, in der Hässlichkeit....“, heißt es da.

9., 11.+13. Mai, 19.30 Uhr; 12. Mai, 21 Uhr, Kampnagel k2