Und im Kanzleramt nur Pinguine

Bei Kaiserwetter hat Gerhard Schröder gestern seinen neuen Dienstsitz eingeweiht. Viele sonnten sich mit im Zentrum der Macht: Schmidt, Eichel sowie die schrille Schweizer Botschaftergattin. Und der Architekt denkt an Abriss: Der Zaun soll weg

von PATRIK SCHWARZ

Kaiserwetter! Und dann die Blaskapelle! Und dann durchkreuzen, wie auf Bestellung, vier weiße Schwäne den azurblauen Himmel über dem neuen Kanzleramt. Dabei ist die ganze Angelegenheit noch gar nicht losgegangen. Die Schwäne sind einfach so vorbeigeflogen, ganz ohne Zutun von Gerhard Schröders Choreografen.

Trotzdem herrscht vor den Toren des Neubaus eine Stimmung von ganz unzeitgemäß freudiger Erwartung. Eröffnung! Schlüsselübergabe! Bundeskanzler! Wie immer, wenn der süße Duft der Geschichte in der Luft hängt, kommen auch die Berufsbeobachter der Berliner Republik aus ihren Stuben. Auffällig festlich sind die meisten Korrespondenten angezogen. Zeigen sich da bereits die verschiedentlich kritisierten höfischen Tendenzen am neuen Sitz der Kanzlerdemokratie? Jedenfalls ist auch Michael Graeter gekommen, der einst als Klatschkolumnist der Bunten berühmt war, und wahrscheinlich bezeichnet sein Kommen den Charakter der heutigen Veranstaltung ganz gut.

An einer Fensterbrüstung der benachbarten Schweizer Botschaft blitzt es pink auf. Wirft sich da die Gattin des Botschafters in eines ihrer Kleider, die dem Berliner Szeneleben schon kleinere Szenen beschert haben sollen? In der Tat, kurz darauf stöckelt es blond und pink in Richtung Kanzleramt. Genauer gesagt, Kanzleramts-Einlasshäuschen. Das könnte nun, wie wahrscheinlich alle Einlasshäuschen, so ähnlich auch am Tor von Stuttgart-Stammheim stehen. Doch wurde über die Architektur des Baus, die innen und die außen, schon derart viel verbreitet, dass ein getreuer Leser inzwischen das Pensum eines Fernlehrgangs absolviert hat.

Im Kern dreht sich der Streit auch am Eröffnungstag um einen Vorwurf: Der Bau habe kein menschliches Maß. Wer das sagte und schrieb, hat den Zaun vergessen. Gut mannshoch ist der, als hätte man genau Maß genommen am deutschen Durchschnittsdemonstranten. Grün und kalt und quer legt er sich um das Kanzleramt, schneidet den großen Platz davor ab, vom Rest der Republik und ihren Bürgern. Doch eh der Tag vergangen ist, wird einer dran gerüttelt haben, der das in Bonn schon einmal machte. Damals wollte Gerhard Schröder hinein, diesmal will er die andren hereinlassen.

Noch ehe freilich der Bundeskanzler seine Vision eines offenen Kanzleramts in einer offenen Republik vorstellt, will Doris ihm noch schnell die Schultern abstauben. Draußen vor der Tribüne wartet die Blaskappelle, während das Gebäude plötzlich seine subversive Qualität unter Beweis stellt. Zwei Schritte zur Seite genügen und eine gläserne Wand gibt den Blick frei auf das Wartezimmer der Mächtigen. Wie Pinguine im Unterwasserbecken bewegen sich da die Großen und Wichtigen – lautlos, vermeintlich unbeobachtet und darum mit berückender Intimität. Helmut Schmidt, die Hand am Stock, legt den Kopf weit in den Nacken, saugt genüsslich den Rauch seiner Zigarette ein. Hans Eichel reibt sich das linke Auge wie ein Fünfjähriger nach dem Aufstehen. Doris Schröder-Köpf wischt ihrem Mann mit zwei energischen Handstrichen übers Jacket. Tanzen da Schuppen im Sonnenlicht?

Transparenz ist demokratisch, sie erlaubt den Vielen draußen den Blick auf die Wenigen drinnen. Axel Schultes, der Architekt, dessen Kluft zu Schröder inzwischen Teil der Kanzleramts-Saga ist, hat immer darauf beharrt, dass sein Bau ein demokratischer sei. Fünf Minuten erlaubt ihm das Programm, um die sieben Jahre seit dem ersten Entwurf des Hauses in Worte zu fassen. Natürlich überzieht er sein Zeitlimit und natürlich verlangt er, den Zaun wegzunehmen. Dem überbordenden Sicherheitsbedürfnis des Amts mit Zivilcourage begegnen, nennt Schultes seine Forderung nach Offenheit. Weil das geplante Bürgerforum dem Geiz geopfert wurde und so schnell wohl nicht gebaut wird, ist der grüne, kalte Zaun zum Symbol geworden: Steht er, bleiben die Bürger draußen, fällt er, hat sich das Volk ein paar hundert Quadratmeter zurückerobert.

Und als hätte die öffentliche Debatte der letzten Wochen Wirkung gezeigt, sind Architekt und künftiger Hausherr plötzlich näher beieinander. „Nichts ist hier endgültig“, sagt Gerhard Schröder am Ende von vier Jahren Bauzeit, „die Menschen werden vieles, was heute noch Baustelle ist, so oder so in ihr eigenes Stadtbild integrieren.“

Später, beim Empfang, wird ein Kanzlervertrauter deutlicher: Schröder habe das als Aufforderung an die Bürger gemeint, ihren Anspruch auf Teilhabe auch tatsächlich anzumelden. Und der Zaun? „Der stößt allen so bitter auf – der ist als Erstes weg.“

Nur Kurt Bodewig, Bauherr und -minister, verteidigt das Stück noch – aus Sicherheitsgründen. Immerhin, meint Bodewig mit Blick auf die Gitterstäbe, „er ist ein Stück transparent und licht dabei“.