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Passionierte Modellbauer

Dekorbusiness as usual: In den Bänden „Magic Worlds“ und „Scanscape“ zeigen die Fotografen Thomas Wrede und Marc Räder, wie in der Architektur von Freizeitparks und suburbanen Wohnsiedlungen neue Wertegemeinschaften heranwachsen

von JOCHEN BECKER

Gradlinig steht ein blockartig ausgeformter Wasserfall vor schnell wachsenden Bäumen. Seltsam unnatürliches Geröll und Pflanzbeete umgeben das Schaustück in der Lüneburger Heide. Im Hintergrund verläuft eine grün gestrichene Schiene, sodass man den Metallstrang nicht gleich erkennt: Die Heide ist ein Funpark.

Ein Gleis führt in den australienroten Berg hinein. Davor reihen sich Boote auf. Der Kanal ist streng begrenzt. Palmen und herbstkahle Bäume, einsame Hütten und eine Möwe stehen auf dem schneeartig anmutenden Sandstrand, dahinter ein Gebäudeklotz, der an eine Lagerhalle für Baustoffe erinnert. „Bermuda Dreieck, Bottrop-Kirchhellen, 80 x 95 cm“ lautet der Untertitel zum Foto von Thomas Wrede. Aus einer anderen Perspektive wird daraus eine Vulkanlandschaft. Die Kamera des Fotografen schaut dabei durch eine Art Fensterbogen mit Absperrzäunen. „Felsen mit Lautsprecher“ zeigt ein Plastegewitter, durchschossen von Schalllöchern, und mit Papierkorb, Zaun und Einlassdrehkreuz umgeben. Die Welt im Zeitalter ihrer unterhaltungsindustriellen Reproduzierbarkeit steht in Anführungszeichen. Eine Zauberwelt aus rechnergestützten Sturzfahrten, Akustikdesign und Staumanagement fürs Fjordrafting: „Ab hier Wartezeit 40 Minuten.“

Keine Menschen, keine Wolken, diffuses Licht, kaum Schatten, in langer Belichtungszeit ruhig gestellte Wasseroberflächen, erhöhte Kameraposition, regennass glänzende Oberflächen, die Objekte als Skulptur: Ganz die Becher-Schule. Während aber Hilla und Bernd Becher den Orten der Industrieproduktion nachspürten, sucht der Jahrzehnte jüngere Münsteraner lieber Stätten postindustrieller Reproduktion auf. Wrede taucht die Außenaufnahmen wie in Kunstlicht; gleich den Freizeitparks bearbeitet er das zugerichtete Vorhandene nach. Die Fotos genießen eine technoide Künstlichkeit, die ihre Freude am Falschen zelebriert. Die Felsenwand ist halb gemalte Abgrenzungsmauer, halb plastisch herausgearbeiteter Kunststoff. Die Euro-Mir im badischen Rust – ein mit Achterbahn umwundener postmoderner Spiegelbau plus Satellitenschüssel – sieht aus wie eine Montage aus Deutscher Bank, RTL-Zentrale und Kirmes.

Taumel der Freizeit: Neben den „Magic Worlds“ zeigt Thomas Wrede in seinem neuen Bildband auch die Serie „Magic Feelings“. Herausgezoomte Köpfe der Ekstase und des Schreckens im Angesicht des Abgrunds einer Achterbahnfahrt, schwarzweiß gehalten, von einer breiten weißen Fläche umrahmt. Angst und Lust sind in der Sturzfahrt nahe beieinander. Derweil begleiten schnappschusshaftere Aufnahmen einen Essay von Klaus Honnef. Hier zeigen sich Securitysheriffs und Straßenfeger, Besucher beim Picknick, Batman auf der Main Street oder eine Sparkassenattrappe mit funktionstüchtigem Bankomaten in der Bottroper „Marienhof“-Kulisse. Am Ende des Buchs sieht man die Achterbahn auf Coney Island: eine Ruine.

Während Wrede bundesdeutsche Freizeitparks durchs Weitwinkelobjektiv als collagiertes Szenario darstellt, hat Marc Räder in seinem Fotoprojekt „Scanscape“ mit dem Teleobjektiv kalifornische Wohnsiedlungen modellbauhaft gebündelt. Nur ein enger Bereich der Bilder besitzt Schärfentiefe, während Vorder- wie Hintergrund aus dem Fokus rutschen, als hätte man es hier mit der Makroaufnahme miniaturisierter Lebenswelten aus den Händen passionierter Modellbauer zu tun.

Unheimlich fremd rücken Räders Szenarien ab. Hier real existierende Suburbaniten. Müßig zu sagen, dass auch Räders Bilder menschenleer sind. Der Eingang zum Silver-Creek-Valley-Anwesen besteht aus einem einsamen Portal mit Rankdach inmitten urbar gemachter Natur. Disfunktionale Säulen, Dixiklos oder Pappkameraden stehen neben Bauschildern; terrassenhaft angelegte Berghänge sind mit Flaggen zum „Grand Opening“ geschmückt. Das frisch geschaffene Dorf liegt inmitten karstiger Baggererde. Mittels pressluftbetriebener Nagelkanonen werden die Häuser aus vorfabrizierten Holzgerüsten zusammengefügt, um dann eine Steinhausfassade verpasst zu bekommen: Dekorbusiness wie im Freizeitpark.

„Armed Response“-Schilder, Nachbarschaftswachen, Rundumkameras, endlose Zäune, Schrankenwärter und Nagelbretter an der Einfahrt oder die Kollektion von Gästepässen für „Mr. Raeder“ führen das Arsenal vor Augen, mit denen Eindringlinge abgewehrt werden sollen. Nur die Aufnahme eines Einkaufswagens oder ein Parkschild für den Angestellten des Monats verweisen auf ein Außerhalb der Wohnfestungen. An einer Stelle stoßen Büroglaskisten für Softwarefirmen und Einfamilienhäuser zusammen, ohne dass hier allerdings Stadtgefühl aufkommt.

Ansonsten sind Arbeitsplatz, Einkaufszone und Heim durch kilometerlange Pendelstrecken voneinander getrennt: „Das tote Ende einer Straße wurde zum üblichen Straßendesign in den neuen Nachbarschaften“, schreibt Marc Räder in einer Bildunterschrift, weshalb wohl auch solch eine Sackgassensiedlung den Titel des in Spanien publizierten Buches ziert.

Ein begleitender Text von Elizabeth McNeil verkoppelt die Werbeprosa der Communities mit Interviews der EinwohnerInnen. Wenn die Nachbarn Krach schlagen, lässt man den Sicherheitsdienst kommen, ohne sich direkt einzumischen. „Ich denke, es ist sehr wichtig zu wissen, dass deine Nachbarn dieselben Wertvorstellungen haben wie du“, wird ein Consultant zitiert.

„Wenn du . . . in einem Haus leben willst, das sich gut verkauft – und dieses Interesse haben sowohl der Erbauer als auch der Bewohner –, wirst du dir ein Haus wünschen, das den meisten der möglichen Käufer gefällt“, beschreibt der Stadtforscher Peter Marcuse den Konformitätsdruck auf die Wertegemeinschaft der Hausbesitzer. Und da jedes Jahr ein Fünftel der US-BürgerInnen umziehen, ist ein hoher Wiederverkaufswert Garant für deren Mobilität. Steuervergünstigungen heizen den Häusermarkt weiter an. Da bei den meisten AnwohnerInnen der Hauskauf die höchste Investition ihres Lebens sein wird, achten sie besonders auf den Zustand des Gebäudes, aber auch auf den Vorgarten und das soziale Umfeld. Alle Häuser wirken wie aus einem Guss – genau wie die projizierten nachbarschaftlichen Verhältnisse. Auf einer gesondert gestalteten Doppelseite trug Marc Räder deshalb aus den Werbebroschüren schon mal die künftige Bewohnerschaft zusammen.

Nicht nur das Motiv des artifiziellen Wasserfalls, sondern auch die ähnliche Farbigkeit der Abzüge haben die Bilder von Marc Räder mit denen Thomas Wredes gemeinsam. Beide Fotografen befassen sich mit der Repräsentation von freizeitorientierten Mittelschichten und ihren abgeschotteten Lebenswelten. „Sag Frieden und Ruhe – Auf Wiedersehen“, steht auf einem Schild zum Schluss des California-Buchs. Es lässt sich nicht erkennen, ob dies zum Ein- oder Ausgang hin platziert wurde.

Thomas Wrede: „Magic Worlds“,Salon-Verlag Köln, 2000, 54 Seiten, 40 DM; Marc Räder: „Scanscape“,Actar Barcelona, 2000,ISBN 84-89698-66-X, 65 DM

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