Die Freiheit, die Berlusconi meint

Der Medienmogul hat gute Chancen, bald Regierungschef Italiens zu sein. Kein Problem für die Pressefreiheit, sagt er. Die Erfahrung lehrt das Gegenteil

aus Rom MICHAEL BRAUN

Nein, Gefahren für Pressefreiheit und Meinungspluralismus kann er nicht erkennen. Landauf, landab erklärt Berlusconi auf seinen Wahlkundgebungen, warum Italiens Bürger sich nicht fürchten müssen, wenn der größte TV-Unternehmer demnächst auch noch als Regierungschef amtiert. Big Brother Berlusconi? Aber nein – seine Holding Mediaset sei ein Hort der Freiheit, erklärt der Kandidat, ohne zu erröten. Lauter linke Journalisten tummelten sich da; die Parteigänger seines Rechtsblocks dagegen seien ein versprengtes Häuflein. Kein Problem also, wenn er demnächst seine Hand auch auf die drei Wellen der staatlichen RAI legen sollte. Er hätte zwar faktisch ein TV-Informations-Monopol – Mediaset und RAI sind zusammen für 90 Prozent der Einschaltquote gut –, doch er würde es nicht nutzen.

Wie so oft gehen Berlusconi allerdings auch auf dem Feld der Medienpolitik Fakten und Fiktion durcheinander. Tatsächlich kennen die Nachrichten- und Informationsprogramme der Berlusconi-Wellen nur einen Star auf der politischen Bühne: Silvio Berlusconi. Er allein erreicht mehr Sendezeit als alle anderen Politiker des Landes zusammen. Kritische Kommentare, freche Fragen an den Chef? Natürlich Fehlanzeige. Die drei Sender des Imperiums, Canale 5, Italia 1 und Rete 4 unterscheiden sich nur in einem Punkt: im Grad der Servilität gegenüber dem Padrone. Canale 5 vermeidet schrille Propagandatöne. Auf Rete 4 dagegen darf Nachrichtenchef Emilio Fede Tag für Tag seiner Bewunderung für Berlusconi freien Lauf lassen und im Gegenzug den Linkskandidaten Francesco Rutelli als Lachnummer präsentieren.

Auch was nach einem rechten Wahlsieg auf die RAI zukäme, ist hinreichend bekannt – schon 1994 lieferte der Berlusconi-Block nach seinem Wahlsieg eine Probe. In Italien obliegt den Präsidenten der beiden Häuser des Parlaments die Nominierung des RAI-Direktoriums: Die Parlamentsmehrheit hat so direkten Zugriff aufs Staatsfernsehen. 1994 war es die erste Tat der Rechtsregierung, die RAI-Spitze komplett auszuwechseln und dann die Chefsessel der Nachrichtenredaktionen der größten Sender, RAI 1 und RAI 2, mit Berlusconi-Journalisten zu besetzen. Nur die Nischenwelle RAI 3 mit 8 Prozent Einschaltquote wurde gnädig der Opposition überlassen.

Die Italiener sollten sich also nicht darauf verlassen, dass die von Berlusconi versprochene freiwillige Selbstkontrolle funktioniert. Institutionelle Kontrollmechanismen dagegen sind dem Chef des „Hauses der Freiheiten“ – so der passende Name seiner Wahlallianz – zuwider. Schon die von der Mitte-links-Koalition verabschiedeten Regeln attackierte Berlusconi jedes Mal als freiheitsfeindlich. Das Verbot bezahlter Wahlspots im Fernsehen (allein zu den Europawahlen 1999 hatte Berlusconi auf seinen Sendern 3.000 Spots ausstrahlen lassen) oder die Vorschrift für die Nachrichtenredaktionen, in Wahlkampfzeiten alle politischen Lager gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen, hält er schlicht für illiberal; die Abschaffung dieser „Knebelgesetze“ ist Teil seines Programms.

Gut dagegen kann Berlusconi mit dem Mediengesetz leben. Zwar hatte die Mitte-links-Koalition pro forma der Machtkonzentration im Fernsehmarkt einen Riegel vorgeschoben und verordnet, dass ein Privatanbieter nur noch zwei nationale Wellen terrestrisch ausstrahlen darf – doch Berlusconi sendet fröhlich weiter auf drei Kanälen. Denn eine ergänzende Norm sieht vor, dass die vorgeschriebene Verlagerung von Rete 4 auf Satellit erst dann stattfinden wird, wenn sich das Satelliten-TV in Italien flächendeckend durchgesetzt hat. Ob das der Fall ist, wird die Medienkontrollbehörde entscheiden – und dort gibt die jeweilige Regierungsmehrheit den Ton an.

Italien darf sich also wirklich auf einen Triumph der Freiheit freuen – der Freiheit Berlusconis, auf allen Mediaset- und RAI-Kanälen seine Frohe Botschaft zu verkünden. Den Zuschauern bleibt die Freiheit, abzuschalten. Schon jetzt wollen pro Tag nur 800.000 Menschen Emilio Fedes Agitprop-News sehen. Gut möglich also, dass die Politmagazine eines gleichgeschalteten Berlusconi-Staats- und -Privatfernsehens weitgehend ins Leere senden. Für den Herrn des Äthers kein Problem: Schon heute exerzieren die TV-Nachrichten von Canale 5 – sie erreichen jeden Abend sechs bis acht Millionen Zuschauer – das Alternativmodell durch. Auf Canale 5 ist von Politikern und Parteien kaum die Rede. Stattdessen gibt's Nachrichten satt von der Verbrechensfront. Da braucht es dann gar keinen politischen Kommentar mehr, um brave Bürger für stramm rechte Lösungen zu begeistern.