Wie vom Erdboden verschluckt

Vermintes Gelände, zerstörte Gebäude: Wiederaufbau findet in Zalambessa nicht statt. Lebensmittel gibt es reichlich, aus US-Hilfsgüterlieferungen

aus Zalambessa DOMINIC JOHNSON

Zalambessa leuchtet blau. Auf den Ruinen an der Hauptstraße liegen tiefblaue Plastikplanen, wie sie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR verteilt. Um zerschossene Mauern türmt sich weißes Geröll. In einem grün angestrichenen ehemaligen Wohnzimmer steht „Willkommen“ an die Wand gemalt.

Seit die äthiopische Armee den Ort vor knapp einem Jahr nach zweijähriger eritreischer Besetzung zurückerobert hat, ähnelt Zalambessa einer Mondlandschaft. „Die Eritreer schossen alles kaputt“, sagt ein Bewohner. „Hunderte von Zivilisten sind dabei gestorben.“ Die Stadt ist ein Symbol des äthiopisch-eritreischen Krieges, der zwischen Mai 1998 und Juni 2000 120.000 Tote forderte. Sie liegt direkt an der Grenze, an der einzigen geteerten Straße, die Äthiopien und Eritrea verbindet. Es war der erste Ort, den Eritreas Armee besetzte, in einer Aktion ohne militärischen Wert, allein zum Beweis der Überlegenheit. 150.000 Soldaten standen sich auf beiden Seiten gegenüber. Die Rückeroberung durch Äthiopien Ende Mai 2000 markierte den Wendepunkt im Krieg und die Niederlage Eritreas. Unmittelbar hinter dem Ort beginnt heute die UN-Pufferzone, die die Armeen Äthiopiens und Eritreas bis auf weiteres 25 Kilometer voneinander entfernt hält.

Für die Eritreer war Zalambessa ein Faustpfand. Sie bauten den Ort zur Festung aus, mit dreifach gestaffelten Verteidigungslinien. An vorderster Front stehen Mauerreste, hinter denen sich Späher verstecken konnten. Dahinter liegen Schützengräben, und direkt am Stadtrand prangt eine mannshohe Stadtmauer, aus großen Ziegelsteinen errichtet. Die äthiopischen Stellungen, wenige Kilometer von den vordersten eritreischen Gräben entfernt, bestehen aus hastig aufgeworfenen Erdwällen.

Heute ist Zalambessa wieder ein Symbol – das des äthiopischen Sieges. Etwa 1.000 Soldaten sind inmitten von Ruinen in dem Ort stationiert, schätzt der Gefreite Degafa Dimboro Fuche. Mitglieder der Miliz – das sind in Äthiopien lokale Polizeikräfte im Nebenberuf, im Gegensatz zu den kasernierten Angehörigen der Berufsarmee – haben ihre Familien mitgebracht. Sie bilden die Mehrheit der Bewohner von Zalambessa. „Als wir im Juli hier ankamen, wohnte hier überhaupt niemand“, erinnert sich Dimboro. „Inzwischen sind einige Vertriebene gekommen, um ihr Eigentum zu besichtigen. Manchen hat die Regierung Plastikplanen gegeben, und sie bleiben da.“

Mitten in der Wüste

Für drei der Soldaten ist der fremde Besuch eine besondere Überraschung. Sie sind Bürger aus Äthiopiens südlichem Nachbarland Kenia, genauer aus der nordkenianischen Grenzregion, in der nomadische Völker leben. Die unmarkierte Grenze bedeutet ihnen nichts. 1991 wurden sie in die äthiopische Armee zwangsrekrutiert, nachdem sie ein wenig zu tief aus Kenia ins Nachbarland gewandert waren und ihre Nationalität nicht hatten beweisen können. Seit zehn Jahren, mit der Unterbrechung der eritreischen Besatzung, sind sie nun am anderen Ende Äthiopiens stationiert – in Zalambessa. Ihre Angehörigen haben in der ganzen Zeit nie etwas von ihnen gehört. Jetzt erkennen sie in der Besucherdelegation einen ehemaligen kenianischen Nachbarn. Beim unverhofften Wiedersehen stehen allen Tränen in den Augen.

In Zalambessa zu leben ist, wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Der Ort liegt mitten in einer Wüstenlandschaft. Verlassene Weiden mit verdorrtem Gras und Felsen säumen die Straße, am Horizont erheben sich staubige, steile Berge. In seltsamem Kontrast dazu schmücken bunte Dorfkirchen im italienischen Stil die wenigen Bergdörfer – Überreste der Kolonialzeit, in der Italiens Armee Eritrea besetzte.

Über die Hälfte der Häuser steht leer. „Ich kam im März zurück“, sagt Gebre Medhen, der mit seiner Schwester in den Resten seines Hauses am Stadtrand wohnt. Es sieht aus, als wäre er gestern erst eingezogen. Kisten stapeln sich auf dem Boden, über dem Bettgestell hängt ein Poster, das einen Geige spielenden Jungen zeigt. Eines hat Gebre Medhen im Überfluss: Lebensmittelhilfe. Drei geschlossene 50-Kilo-Säcke mit US-Aufschrift und verschiedenen Getreidesorten darin liegen in seinem Zimmer, ein weiterer ist geöffnet und wird gerade verbraucht. „Das kommt von der TDA“, erklärt Medhen – der Tigray-Entwicklungsbehörde, einem verlängerten Arm der äthiopischen Regierungspartei TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront).

Von Hilfe sind alle abhängig. Almaz Hawasi hat vor der Ruine ihres Hauses an der Hauptstraße in einem vier Quadratmeter großen Verschlag einen kleinen Gemischtwarenladen eingerichtet, in dem sie mit ihrem Baby lebt. Es gibt Marienbilder, Kerzen, Scheren – Gegenstände, die man nicht unbedingt braucht. Verkauft sie viel? „Nein. Die Leute haben kein Geld. Ich verkaufe auf Kredit.“ Ihre Waren hat sie auf demselben Weg bekommen. Zum Überleben ist sie auf Hilfsgüter angewiesen.

Die gibt es reichlich. Der äthiopischen Regierung liegt viel an der nordäthiopischen Provinz Tigray. Denn Tigray ist die Heimat der Regierungspartei TPLF. In der Provinzhauptstadt Mekele, aus der sowohl der äthiopische Premierminister Meles Zenawi wie auch der eritreische Präsident Isayas Afeworki stammen, werden Luxushotels und Industriebetriebe errichtet, die Straßen nach Norden werden modernisiert, der Flughafen auf internationalen Standard erweitert, neue Militäranlagen entstehen. Hier bauen sich Äthiopiens Mächtige die Grundlage für eine Großmacht.

Die Zeit steht still

Je näher man an das frühere Kriegsgebiet kommt, desto emsiger wird das Treiben in den Dörfern. Soldaten und Milizionäre laden neue Wellblechdächer von Lastwagen, in Depots türmen sich Säcke mit US-Lebensmittelhilfe. Seit sich die Armee unter UN-Überwachung von der Front zurückgezogen hat, mischen sich ihre Angehörigen unter die tigrayische Bevölkerung. Der Übergang zwischen Uniformträgern und Zivilisten ist fließend.

Direkt an der Front scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. An den ehemaligen Stellungen der Eritreer – sie erstrecken sich auf 600 Kilometer Frontlinie – ist seit Kriegsende kaum etwas getan worden. „Jeder Graben ist vermint“, sagt Kapitän Issay, Leiter der Minenräumabteilung der äthiopischen Armee. „Meistens haben wir das Gebiet geräumt, indem wir Bajonette in den Boden stachen.“ Ein von US-Ausbildern trainiertes Team beginnt erst jetzt mit dem systematischen Aufspüren der Minen. Hirten bangen um ihre Rinder, die über die gefährlichen Hügel ziehen.

Zalambessa sieht aus, als wollte man den Ort als Mahnmal erhalten. Die von eritreischen Truppen errichtete Mauer steht völlig unberührt, obwohl die Steine zum Wiederaufbau der zerbombten Häuser gebraucht würden. Üppig versorgt leben die Menschen in Ruinen. Sie werden gebraucht als lebende Erinnerungsstücke an einen Krieg, auf dessen Ausgang Äthiopiens Mächtige noch jahrzehntelang stolz sein werden.