Schwarze für mehr Farbe

Die CDU bekennt sich erstmals zur Notwendigkeit von Einwanderung in Deutschland. Das Wort „Leitkultur“ wird vermieden. Ausländerbeauftragte Beck begrüßt den „großen Schritt“ der CDU

BERLIN taz Die CDU hat einen historischen Einschnitt vollzogen. Mit dem Beschluss ihres Bundesvorstandes wurde gestern erstmals von einem Parteigremium dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bundesrepublik faktisch ein Einwanderungsland ist. In dem 96 Seiten langen Papier wird ausdrücklich betont, Zuwanderung müsse „begrenzt und im nationalen Interesse gesteuert werden“.

Wie erwartet, verzichten die Christdemokraten auf eine Gesamtquote für Migranten. Stattdessen soll es Kontingente für bestimmte Bereiche der Wirtschaft geben. Eine Ausnahme gilt für Höchstqualifizierte, während für gering qualifizierte Tätigkeiten keine Einreise für längere Zeiträume vorgesehen ist. „Vorläufig“ absehen will die CDU von einer erneuten Änderung des Grundrechts auf Asyl. Allerdings soll das Verfahren beschleunigt werden.

Keine Erwähnung findet in dem Papier, das unter dem Vorsitz der vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller geleiteten CDU-Zuwanderungskommission in den letzten Monaten erarbeitet wurde, das umstrittene Wort von der Leitkultur. Man habe „Reizworte“ vermeiden wollen, so Müller gestern. Am 10. Mai wird das Papier mit den Zuwanderungsthesen der CSU abgeglichen, anschließend auf Regionalkonferenzen an der Basis diskutiert und am 7. Juni auf einem Bundesparteitag offiziell verabschiedet.

Sowohl CDU-Chefin Angela Merkel als auch Müller betonten gestern ihre Gesprächsbereitschaft gegenüber der rot-grünen Regierung. Müller hob zugleich hervor, dass die SPD bislang kein Konzept zur Zuwanderung habe, während das Papier der Grünen von den Vorstellungen des Koalitionspartners abweiche. Die von der Bundesregierung eingesetzte Süssmuth-Kommission will am 4. Juli ihren Bericht vorlegen. Bislang hat die SPD als einzige Partei vor der Kommission keine Stellungnahme abgegeben.

Das Zuwanderungskonzept der CDU stieß gestern bei der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), auf Zustimmung. Das Papier bedeute „einen großen Schritt, weil es sich vom Junktim, Arbeitsmigration mit Asyl zu verrechnen, verabschiedet“, sagte sie der taz. Beck sieht allerdings in Detailfragen noch große Probleme. So lehnt sie eine Reduzierung des Höchstalters beim Familiennachzug auf zehn Jahre ab. Dies würde „einen Abschied von Europa“ bedeuten. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte das CDU-Zuwanderungskonzept. „Die CDU hat sich endlich mit den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft abgefunden“, sagte deren Vizechef Safter Cinar der taz.

Wegen der neu aufgetauchten Million von Exschatzmeister Walther Leisler Kiep sah sich die CDU gestern dazu gezwungen, zwei Pressekonferenzen hintereinander abzuhalten – eine zur Einwanderung, die andere zur Spendenaffäre. Dort übernahm CDU-Geschäftsführer Willi Hausmann die politische Verantwortung für den Vorgang. Er habe die politische Brisanz nicht erkannt und Merkel unzureichend unterrichtet. Hausmann selbst hatte zuvor seinen Rücktritt angeboten, den jedoch Merkel und der Vorstand ablehnten.

SEVERIN WEILAND

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