Mit Bauchschmerzen

Im Panel „Wer darf leben?“ wurde über die Präimplantationsdiagnostik gestritten: Wankt das Recht auf Selbstbestimmung oder droht eine behindertenfeindliche Selektion?

von WOLFGANG LÖHR

„Wer darf leben?“ Der Titel der Diskussionsveranstaltung zu Fragen der Präimplantationsdiagnostik (PID) brachte es – so Moderatorin Uta Wagenmann vom Gen-ethischen Netzwerk (GeN) – auf den Punkt, worum es bei der aktuellen Auseinandersetzung über „eine der umstrittensten Techniken im Bereich der Biomedizin“ eigentlich geht. Die Auswahl der geladenen ReferentInnen ließ erwarten, dass auch auf dem taz-Podium heftig um das Für und Wider des Genchecks von Reagenzglasembryonen gestritten wird.

Für den Juristen und Autor Oliver Tolmein, der sich seit fünfzehn Jahren mit medizinethischen Fragen beschäftigt, ist es keine Frage: „Bei der PID geht es darum, Behinderte zu verhindern.“ Schon die heutige Praxis der Pränataldiagnostik und die bei Nachweis einer Erbkrankheit sich anschließende Abtreibung seien bedenklich: „Hier geht es um eine Selektion.“ Dies sei eine nach dem Grundgesetz verbotene Diskriminierung von Behinderten. Durch Zulassung der PID, so Tolmein, werde sich diese Situation noch verschärfen.

Widerspruch kam von der Juristin Monika Frommel, Professorin und Prodekanin der juristischen Fakultät der Universität Kiel. Die engagierte Feministin und Kriminologin stellt die PID auf eine Stufe mit der nach dem Paragrafen 218 a zulässigen Abtreibung. Mit Blick auf ihr künftiges Leben und dem zu erwartenden größeren Aufwand bei der Sorge um ein behindertes Kind, so Frommel, „dürfen Schwangere eine Abtreibung verlangen“. Der Paragraf 218 a, der einen schweren Eingriff in die Schutzrechte des Embryos erlaubt, sei auf das Embryonenschutzgesetz übertragbar.

Das Embryonenschutzgesetz schreibt vor, dass eine künstliche Befruchtung nur vorgenommen werden darf mit dem Ziel, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Zudem stehen frühe Embryonen bis zum Acht-Zell-Stadium – so lange etwa sind alle Zellen des Embryos noch voll entwicklungsfähig – nach dem Embryonenschutzgesetz unter einem strengen Schutz. Mit ihnen darf weder geforscht werden noch dürfen sie verworfen werden. Eine genetische Untersuchung von Reagenzglasembryonen müsste aber spätestens im Acht-Zell-Stadium durchgeführt werden. Sollte sich eine schwere Erbkrankheit nachweisen lassen, würden die Embryonen vernichtet. Nach Auffassung der PID-Gegner ist deshalb die PID derzeit nicht zulässig.

Eine Meinung, die von Frommel nicht geteilt wird. Die nach dem Abtreibungsparagrafen 218 a geschaffene Möglichkeit, entscheiden zu dürfen, ob eine Schwangerschaft weitergeführt werden soll, sei auch anwendbar, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob ein Reagenzglasembryo einer Frau eingepflanzt werden soll. Im Gegensatz zu Tolmein sieht sie „moralisch-ethisch keinen Unterschied, ob eine Frau bereits schwanger ist oder eine Schwangerschaft erst eingeleitet werden soll“. Ihre Konsequenz: „PID ist derzeit erlaubt. Wenn wir sie verbieten wollen, dann müssen wir das Gesetz ändern.“

Der Kieler Juristin („Ich bin nicht für PID“) geht es darum, dass die Betroffenen selbst zu entscheiden haben: „In einer Gesellschaft, die so pluralistisch und individuell ist, kann man keine Wir-Entscheidung erwarten.“ Frommel setzt vielmehr auf einen „individualisierten Reproduktionsentscheidungsprozess“. Wiederholt wehrte sie sich gegen die Tendenz, die betroffenen Ärzte und Frauen zu kriminalisieren: „Ausgerechnet wir, die wir im Abtreibungsbereich das Mittel der Kriminalisierung immer abgelehnt haben, nutzen es jetzt selbst.“

Auch der Selbsthilfeverband Mukoviszidose e. V., dessen Mitarbeiterin Birgit Dembski als dritte Referentin auf dem Podium saß, setzt auf eine individuelle Entscheidung. „In unserer Stellungnahme zu PID“, so Dembski, „lassen wir offen, ob die genetische Untersuchung von künstlich befruchteten Embryonen zugelassen werden soll.“ Eltern von Mukoviszidosekindern, die noch weitere, aber gesunde Kinder haben möchten, werden zum Beispiel von Vertretern der Bundesärztekammer als eine der Gruppen genannt, die für eine Anwendung der PID in Frage kommen. „Wir aber“, so Dembski, „sind skeptisch bei dieser Methode, denn wir befürchten, dass sich die Situation von Behinderten durch PID weiter verschlechtern wird. Die Diskriminierung von Behinderten wird zunehmen.“

Diese Befürchtung äußerten auch einige Zuhörer. „Das Menschenbild ist ‚fit und Fun‘ “, sagte ein Rollstuhlfahrer, „und da stehen wir draußen. Ich hätte bei der PID viel weniger Bauchschmerzen, wenn über die Selbstbestimmung von Behinderten genauso heftig gesprochen würde wie über die Selbstbestimmung von Eltern, die ein gesundes Kind haben möchten.“

WOLFGANG LÖHR ist Biologe und seit 1993 Wissenschaftsredakteur der taz