Kleine Fluchten

Die junge Bedienung im amerikanischen Schnellrestaurant kommt zum Kaffeenachschenken auf den Betrachter zu. Sie trägt einen riesigen Button über der Brust: No, I’m not Tina Turner. Einer von hundert „Augenblicken“ aus dem Jahr 2000, der täglich in der taz erscheinenden Fotorubrik, die wir den Kongressbesuchern in einer Ausstellung gezeigt haben. Arno Widmann, Exchefredakteur der taz, erinnerte in seiner kurzen Rede an die Anfänge der Rubrik. „Der Augenblick“ sollte ein Ruhepunkt sein, nichts mit den aktuellen Nachrichten zu tun haben. „Das Foto sollte ein anderes Lebensgefühl vermitteln. Es sollte zeigen, dass es neben den Nachrichten etwas gibt, was länger dauert. Die etwas größeren Dinge im Leben.“

Augenblicke, das sind kleine Fluchten beim Zeitungmachen. Das Bild muss sich keinem Text zuordnen. Es ist also befreit von allen Zwängen, die Worte schaffen können. Diese Freiheit gibt Platz für Beobachtungen am Rande, für schwer zu vermarktende Bilder. Augenblicke sind Geschenke der Fotografen, die für kurze Zeit diese Vermarktungszwänge vergessen oder überwinden. Es sind kostbare, subjektive Notizen, beobachtet im Alltag normaler Leute. Endlich kann auf die Riege der Männergesichter, die die Weltpolitik bestimmen, verzichtet werden. Augenblicke, das sind Momente, die uns ganz nah erscheinen, weil sie privates Glück zeigen, das der Fotograf für den Bruchteil einer Sekunde festhält. Der Augenblick kann uns etwas erzählen, was entfernt von Erwartungshaltungen ist, er kann einfach komisch sein, er kann uns ganz leicht machen. Arno Widmann sagte: „Schade, dass diese Art von Fotos von der Seite 2 verschwunden und auf die Meinungsseite gewandert sind. Es wäre schön, sie mitten ins politische Gedränge zurückzuholen.“

PETRA SCHROTT