Technologie für Arme?

■ Auf der Fachtagung openNET in Bremen wird es auch um die entwicklungspolitische Bedeutung des Internet gehen – überwiegen die Chancen oder geht die technologische Schere weiter auf?

Sascha Boerger (30) ist Network-Consultant bei der Telekom-Tochter DeTeLine. In seiner Freizeit engagiert er sich bei der Netzorgnisation ISOC. auf ihrer Jahrestagung wird er über Chancen der Internettechnologie für die Entwicklungsländer referieren.

taz: Was hat Sie motiviert, sich mit Internet in Entwicklungsländern zu befassen?

Sascha Börger: Mich interessiert die politische Dimension des Internet. Auf der INET2000 in Yokohama habe ich Vertreter aus allen Weltregionen getroffen. Da habe ich festgestellt, dass Leute in Afrika und Lateinamerika sich Fragen über die technische Infrastruktur stellen, deren Antworten bei uns zum Teil seit Jahren vorliegen. Deshalb kann eine Zusammenarbeit für die developing countries sehr fruchtbar sein.

Ist das Internet eine Technologie für Arme oder verschärft es die technologische Abkopplung?

Das Internet birgt viele Chancen für die developing countries, aber natürlich gibt es eine digitale Spaltung. 15 Prozent der Industrieländer stellen heute über 80 Prozent der weltweiten Online-Nutzer. Dennoch würde ich sagen, dass es die Chancen einer globalen Kommunikation überwiegen. Aber bisher ist die Zusammenarbeit der developed countries , wo das Internet Tagesgeschäft ist, und der developing countries ist sicher noch verbesserungswürdig. Die Vereinten Nationen schätzen den Investitionsrückstand für die Basis-Kommunikations-Infrastruktur in den developing countries auf über 300 Milliarden US-Dollar. Neben diesen Investitionen muss der Know-How-Transfer organisiert werden.

Wer macht das?

Innerhalb der Internet Society gibt es dafür ein Projekt namens ISOC-Sistership. In New-Training-Workshops vermitteln ISOC-Mitglieder aktuelle technische Kennnisse praxisnah an Kollegen aus Entwicklungsländern – etwa durch den Aufbau von Beispiel-Netzen. Diese Workshops werden durch Sponsoring unterstützt, bis hin zu Flugtickets und Visa.

Wer profitiert davon vor allem?

In erster Linie Teilnehmer vom afrikanischen Kontinent. Dort gibt es auch den größten Nachholbedarf. Zur Illustration: In Manhattan gibt es derzeit mehr Online-Nutzer als in ganz Afrika.

Was ist in den Ländern, wo noch nichtmal das Telefonnetz verlässlich funktioniert?

88 Prozent der Weltbevölkerung waren noch nie im Internet. Aber 80 Prozent haben auch noch nie telefoniert. Das zeigt, wie eng die Probleme miteinander verknüpft sind. Das Telefonnetz ist sicherlich in den meisten Weltregionen der logische Zugang zum Internet. Aber es gibt auch Bilder von Wellblechhütten in Afrika, die auf dem Dach ein Solarpanel und eine Satellitenschüssel haben – um den Strom zu erzeugen für die nötige Hardware zu erzeugen und über eine Satellitenverbindung einen Internetzugang zu realisieren.

In welchen Bereichen sehen Sie Entwicklungs-Chancen durch das Internet?

Perspektivisch wird der E-Commerce eine große Rolle spielen. Noch brauchen solche Programme viel Unterstützung. Wir versuchen, das aus dem ISOC-Sistership-Programm heraus zu organisieren. Eines unserer Ziel e ist, dass jedes europäische Chapter von ISOC eine direkte Partnerschaft mit einem developing Chapter übernimmt. Neben praktischer und administrativer Hilfestellung bemühen wir uns um Sponsoren.

Sehen Sie vor Ihrem geistigen Auge einen afrikanischen Kaffeebauern sitzen, der seine Ernte über das Internet vertreibt?

Wahrscheinlich nicht der einzelne Bauer, aber vielleicht eine Kooperative könnte so schon den Zwischenhandel weitgehend ausschalten und garantieren, dass die Erlöse den Erzeugern zugute kommen.

Viele afrikanische Universitäten setzen große Hoffnungen in den Wissenstransfer über das Internet. Werden dort irgendwann Studierende online an den Vorlesungen von US-Universtitäten teilnehmen?

Das ist kein frommer Wunsch mehr. In Südafrika, das auf dem Kontinent die Vorreiterrolle übernommen hat und wo entsprechende Bandbreiten zur Verfüügung stehen, ist das längst Realität.

Haben Schwellenländer besondere Chancen bei der technischen Infrastruktur?

Natürlich ist es sinnvoll, wenn nicht in überholte oder recycelte Technologie aus den Industrieländern investiert wird, sondern diese dem Stand der Technik entspricht. Malaysia zeigt mit dem Aufbau einer modernen Glasfaserstruktur, wie der Anschluss an die „1. Welt“ vonstatten gehen kann.

Fragen: Jan Kahlcke