Ackerbau und Plüschzucht

Nenn es Ethno-Jazz oder wie du willst: Im Rahmen der „Ost(t)räume“ spielten Vershki da Koreshki aus Russland

Alles, was klingt, kann auch Teil der Klangwelt von Vershki da Koreshki (kurz: Vedaki) werden. Aus den menschlichen Sprechorganen lassen sich wunderbare Rhythmusmaschinen bauen, und der Rücken eines Kontrabasses steht entsprechend bearbeitet einem Schlagzeugset in nichts nach. Das zeigten Vedaki am Donnerstagabend in der Kulturbrauerei einem kleinen Publikum, das „Ethno-Jazz aus Russland“ erleben wollte. So lautete die Vorankündigung in der Veranstaltungsreihe „Ost(t)räume“, die in loser Folge unkonventionelle Musikacts aus Osteuropa in Berlin einem breiteren Publikum vorstellen will.

Nenn es Ethno-Jazz, nenn es, wie du willst. Vedaki schweifen geräuschvoll umher und verschwinden wieder leise aus den gelegten rhythmischen Klangstrukturen. Holländische Schalmei, afrikanische Mundorgel, sibirische Harp, Klavier und Akkordeon: Schon das Instrumentenrepertoire, das allein ein Musiker von Vedaki improvisatorisch beackert, wird herausgelöst, aus welchen Zusammenhängen auch immer.

Die Geschichte von Vedaki begann in Amsterdam. Der Petersburger Alexei Levin folgte dem Ruf eines niederländischen Musikkonservatoriums im Jahr 1989, als sich aus Russland schon bequem ausreisen ließ. Fünf Jahre später lernt Levin ein Urgestein der avantgardistischen Petersburger Musikszene kennen, den Kontrabassisten Wladimir Wolkow, der gerade ein Gastspiel auf einem Amsterdamer Jazzfestival gab. Die beiden Russen spielten ein bisschen zusammen, und bald kam auch der Senegalese Mola Sylla hinzu, der mit traditionellen afrikanischen Instrumenten aufwartete. Zum Vedaki-Kreis zählen seitdem auch noch der Inder Sandip Bhattacharya (Perkussion), Kaigal-ool Khovalyg aus dem südsibirischen Tuwa und der Folksänger und Klarinettist Sergei Starostin, selbst sonst Kopf des legendären „Moskauer Art Trios“, der die musikalischen Roots Russlands im „ethnischen Musikprogramm“ des Staatsfernsehens vorstellte.

Vershki ist das Astgeflecht eines Baums, Koreshki sind die Wurzeln. Die gute alte Baummetapher ist ein festes semantisches System, in dem sich selbst die kleinen Vergabelungen im Oberbereich bei eingehender Betrachtung auf Vorheriges zurückführen lassen, bis die Kette wieder hübsch geschlossen ist.

Auf der Bühne dröseln Vedaki diese Kette wieder auf, bis deren Kleinteile freigelegt sind. Sie liegen herum, bis der Perkussionist den Kontrabassisten anschaut und dieser den Pianisten. Dann wird aufgelesen und weitergesponnen – wohin, ist eindeutig nicht zu sagen.

Im Konzert tauchten auch Songstrukturen aus dem neuen Vedaki-Album „Gombi Zor“ auf. Der Titel ist entprechend anspielungsreich: Bedeutung, wo bist du? Amüsiert inszenieren Vedaki fürs Publikum ihr Spiel um verdrehte Wörter und unmögliche Übersetzungen, bis das Rätsel mit einer banalisierenden Geste aufgelöst wird: Gombi Zor, so die Musiker von Vedaki einhellig, sei der Name eines bärigen Plüschtiers, dem sie auf einer Farm in den Schweizer Alpen begegnet seien.

MATTHIAS ECHTERHAGEN

Nächste Veranstaltung von „Ost(t)räume“: Jazz made in Hungary I und II., heute, 20 Uhr, Alte Feuerwache, Kulturbrauerei, Knaackstr. 97