Sich zügeln zum Abschied

Der Dank an den scheidenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt einte die Partei – zumindest für einen Nachmittag

aus Düsseldorf BETTINA GAUS

Mindestens optisch ist die Führungsfrage in der FDP längst beantwortet: zugunsten von Jürgen Möllemann, natürlich. Die Entscheidung darüber, ob nun also künftig auch die FDP einen Kanzlerkandidaten benennen wird, fällt erst heute. Aber der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende hat die 662 Delegierten des Bundesparteitags schon bei der Anreise zur Düsseldorfer Stadthalle darauf eingestimmt, wer der eigentlichen Star der Liberalen ist: Jürgen Möllemann. Wer sonst.

Hunderte von Plakaten säumen die Straße – mit seinem Bild und der Aufschrift „Mission 18 %“. Mission: Kleiner hat er es nicht, und er will ohnehin noch mehr. Ein „erster, noch überschaubarer, bescheidender Schritt“ sei das, sagt Möllemann in seiner Begrüßungsansprache und verweist auf die 25 bis 30 Prozent der belgischen und niederländischen Schwesterparteien: „Da wollen wir auf Dauer auch hin.“ „Größenwahnsinnig“ hat der FDP-Vize Walter Döring seinen Parteifreund genannt, und damit vor allem dessen Ambitionen auf die Position des Kanzlerkandidaten gemeint. Möllemann verlangte eine Entschuldigung, Döring weigerte sich, andere redeten mit: Es ging zu wie in einer Seifenoper, und natürlich hat sich die Basis darüber geärgert. Nie wieder wollten sie so etwas erleben, klagten gestern einige Delegierte. Das schade der Partei.

Wirklich? 1.300 Medienvertreter sind nach Düsseldorf gereist. Wie viele wären wohl ohne vorangegangenen Familienkrach angereist? Wolfgang Gerhardt hat die öffenliche Aufmerksamkeit stets nur schwer finden können. Er hat sich aus seinem Amt als Parteivorsitzender gestern auf dieselbe Weise verabschiedet, in der er es ausgeübt hat: sdolide, honorig und ein bißchen langweilig. Seine Rede war eine Tour d’horizon all dessen, wofür die FDP politisch heute eben so steht. Eine Vision für die Zukunft enthielt sie nicht.

Dafür ist künftig Guido Westerwelle zuständig. Manche in der FDP verübeln ihm, dass er seinen Vorgänger aus dem Amt gedrängt hat. Wolfgang Gerhardt aber ist das Ziel der Geschlossenheit selbst in einem bitteren Augenblick wichtiger als Streicheleinheiten. Sehr eindringlich warb er um Vertrauen für den neuen Vorsitzenden: „Schenken Sie es ihm aber ganz – ungeschmälert und ungeteilt.“ Und dann erlaubte er sich einen ganz kleinen, vornehmen Seitenhieb gegen Möllemann: Die Delegierten sollten heute bei ihren Entscheidungen „auch Führung zulassen“.

Alle im Saal wussten, was gemeint war. Westerwelle findet die Idee eines FDP-Kanzlerkandidaten nicht so toll. Jürgen Möllemann, der das Thema gestern zunächst sorgsam vermied, wird heute dafür streiten – unterstützt von einem Antrag seines nordrhein-westfälischen Landesverbandes. Zu dem auch Westerwelle gehört.

Die beiden Matadore lassen ihre Muskeln in einem sehr engen Ring spielen. Sie können einander nicht entkommen, und sie wissen zugleich, dass im Interesse der Partei keiner den anderen k. o. schlagen darf. Um Punktsiege aber dürfen sie kämpfen – zum Beispiel heute Nachmittag.

Gestern aber wurde zunächst nicht gekämpft, sondern gedankt. Als die Delegierten ihrem scheidenden Vorsitzenden stehende Ovationen spendeten, animierte Guido Westerwelle die Versammlung zu rhythmischem Beifall. Jürgen Möllemann klatschte auch, allerdings bedächtiger. Und ein erkennbar bewegter Wolfgang Gerhardt sagte schließlich: „Ich habe das alles verstanden. Jetzt dürfen Sie sich wieder setzen.“ Telegene Inszenierungen sind seine Sache nicht. Für einen Spitzenpolitiker ist das ein professionelles Handikap. Aber menschlich ist es sympathisch.