Tschechen bleiben lieber zu Hause

Prager EU-Experten sehen keinen Grund für Übergangsfristen bei Öffnung des Arbeitsmarkts. In der tschechischen Haupstadt wird heute schon so viel wie in der EU verdient. Angst vor Anti-EU-Wahlkampf

BERLIN taz ■ Tschechiens EU-Experten zeichnen sich durch eine besondere Art von Optimismus aus. Egal ob in Prag, Brüssel oder Berlin, mit schwerwiegenden Problemen auf dem Weg des 10-Millionen-Einwohnerlandes in die Europäische Union rechnen sie allesamt nicht. Die Korruption der Staatsbeamten, der Streit mit Österreich über das ständig von Störfällen heimgesuchte AKW Temelín oder auch der Aufbau einer Schengen-Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei – irgendwie wird man für all dies schon eine Lösung finden. „Für uns gibt es keine sensiblen Themen“, tönt es selbstsicher aus der tschechischen Verhandlungsdelegation.

So viel Optimismus würde die Prager Regierung auch gern bei den EU-Staaten wiederfinden. So hält etwa Vizeaußenminister Pavel Telička, der die Verhandlungen mit Brüssel leitet, die deutsche Furcht vor einer Masseneinwanderung für völlig übertrieben. Die Tschechen würden ja nicht mal ihren eigenen Landkreis verlassen, um Arbeit zu suchen. Und auch das Argument der Brüssler Kommission, dass eine Übergangsfrist bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit ja auch den Osteuropäern nütze und eine Abwerbung ihrer besten Leute verhindere, überzeugt Telička nicht. „Die IT-Experten, die im Westen arbeiten wollen, sind schon lange dort.“ Hinzu kommt, dass die Einkommen in Prag inzwischen den EU-Durchschnitt erreicht haben und in der Hauptstadt mit ihren 1,2 Millionen Einwohnern Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften herrscht. Und: Auch in Tschechien werden immer weniger Kinder geboren, auch Tschechien wird bald ein Einwanderungsland sein.

Die Prager Diplomaten hoffen so immer noch, dass die von der Kommission vorgeschlagene fünfjährige Übergangsfrist für Arbeitnehmer flexibel ausgestaltet werden kann. „Man sollte sie nach Ländern oder Branchen differenzieren“, fordert der tschechische Botschafter bei der EU, Libor Sečka. Was so viel heißt wie: Für Polen sind die Übergangsfristen vielleicht berechtigt, für uns aber nicht. Den deutschen Hinweis, dass auch die Tschechen Übergangsfristen – zum Beispiel beim Bodenerwerb durch Ausländer – fordern, weist Prag zurück. Schließlich stelle die Arbeitnehmer-Freizügigkeit eine der vier grundlegenden Freiheiten der Europäischen Union dar, der Bodenerwerb betreffe dagegen nur einen Randbereich der Beitrittsverhandlungen.

Und so haben die EU-Optimisten momentan nur vor einem Angst: Auch in Tschechien wird 2002 gewählt, sowohl der Präsident als auch das Parlament. Expremier Václav Klaus, profiliertester EU-Kritiker des Landes, könnte sich bei einer – als wahrscheinlich geltenden – Kandidatur für die Nachfolge von Václav Havel durchaus für einen Anti-Europa-Wahlkampf entscheiden. Die Zustimmung zur EU ist mit 58 Prozent zwar seit Jahren relativ stabil, doch 25 Prozent haben sich noch keine Meinung gebildet. Dass für tschechische Arbeitskräfte die Grenzen nach Europa bis 2010 dicht bleiben, sie aber alle anderen Beitrittsbedingungen der EU erfüllen müssen, ein besseres Thema könnte Klaus kaum finden. SABINE HERRE