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Das Opfer bleibt verschwunden

Die beiden Russen, die vor zwei Jahren wegen der Erpressung und Entführung des Gastwirtssohnes Hintze verurteilt wurden, stehen jetzt wieder vor Gericht: Trotz vieler Parallelen ist hier der mutmaßlich Entführte seit vier Jahren verschwunden

von KIRSTEN KÜPPERS

Jedes Verbrechen trägt die besondere Handschrift seiner Täter, sagen Kriminologen. Und dass diese Handschrift sie immer wieder verlässlich zu den Schuldigen führt, ist die Hoffnung der Ermittlungsbehörden. In diesem Sinne hat gestern ein neuer Prozess gegen die beiden Russen Sergej S. und Wjatscheslaw O. begonnen. Die Männer sitzen derzeit bereits Haftstrafen von jeweils vierzehneinhalb Jahren ab. Der Fall des verschleppten Gastwirtssohnes Matthias Hintze, den sie in ein Erdloch vergruben und langsam ersticken ließen, zeigte ihre kriminellen Energien. Nun wirft die Staatsanwaltschaft den beiden Russen noch einen weiteren Fall schweren erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge vor. Und tatsächlich weist der Fall große Ähnlichkeiten mit der Hintze-Entführung auf.

Es geht um den vor vier Jahren verschwundenen Computerhändler Alexander Galius. Der damals 50-Jährige soll vier Monate früher als Hintze betäubt und entführt worden sein. Auch hier sollen die Angeklagten ihr Opfer in einer Grube im Wald versteckt haben. Und die Geisel hatte – wie Hintze – nach der Entführung Briefe an die Angehörigen schreiben und Nachrichten auf Tonband sprechen müssen. Ebenso die Forderung nach einer Million Mark Lösegeld war gleich. Während Hintze tot aufgefunden wurde, fehlt von Galius allerdings bislang jede Spur.

Vier Jahre Warten auf einen vermissten Ehemann sind eine lange Zeit. Die 42-jährige Mathematikerin Elfrieda Galius hat längst die Hoffnung aufgegeben, ihren Mann lebend wiederzufinden. Sie stellte sich gestern im Gerichtssaal vor die Angeklagten und sagte: „Ich hasse Sie nicht. Ich möchte einfach, dass mein Mann normal beerdigt wird.“ Die beiden Angesprochenen hinter der dicken Panzerglasscheibe blickten sie nur mit aussichtslosen Gesichtern an. Zu Beginn der Verhandlung hatte Sergej S. erklärt: „Ich habe mit der Sache nichts zu tun, deshalb sage ich nichts.“ Sein mutmaßlicher Komplize Wjatscheslaw O. schwieg gestern hartnäckig.

Trotzdem ist für den Sohn des Verschwundenen schon lange alles klar. Der 24-Jährige glaubt fest daran, den Mördern seines Vaters gegenüberzusitzen. „Beide Fälle sind so offensichtlich ähnlich – ich bin überzeugt, dass es die gleichen Täter sind“, sagte gestern der schmale Student. Gleich nach der Entführung von Hintze sei er zu dessen Eltern nach Geltow gefahren. Mit ihnen habe er die Briefe der Entführten verglichen, die Tonbandaufnahmen, die Anrufe mit den Geldforderungen. Die Gespräche seien aus denselben Telefonzellen geführt worden, behauptete er.

Mit gefasster Stimme erzählte der Sohn von dem Sommer 1997, der eine schreckliche Zeit für ihn gewesen ist. Mit Freunden hatte er damals auf der Suche nach seinem Vater die Wälder rund um Berlin abgefahren, leer stehende Keller aufgebrochen, verlassene Militärkasernen durchstöbert, auf gut Glück angefangen zu graben. Gefunden haben sie nichts, sagte er gedrückt. Seine Traurigkeit ist auch die eines jungen Mannes, der sich sicher ist, dass in der ganzen Angelegenheit Fehler gemacht wurden. Sein Verdacht: Die Entführung habe möglicherweise nicht seinem Vater, sondern dessen Chef gegolten. Seine eigene Familie hätte das Lösegeld gar nicht aufbringen können. Auch glaubt er, dass der Polizei während der Verhandlungen mit den Entführern Pannen unterlaufen seien. Ein Hinweis auf einen Friedhof mit dem russischen Wort „Urna“ sei falsch übersetzt worden. Die Polizei habe stattdessen Mülltonnen durchsucht. Der Sohn trug diese Vorwürfe nicht ärgerlich vor. Er wirkte einfach nur resigniert. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

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