Nie nur gefühlsduselig

Vom Support im Schlachthof zur Astra Stuben-Hauptrolle: Der introvertierte Songwriter Raz Ohara und sein Lob auf das Zwischen-Entscheidungen-Schweben  ■ Von Verena Dauerer

Vielleicht ist er so wie sein neues Album The Last Legend, denke ich vor dem Gespräch mit Raz Ohara. Wenn geklärt ist, was auf gefühlvolle Art Musik machen heißt. Am Telefon redet Raz dann von seiner Platte als Ausdruck seines inneren Zustands, und will mit ihr gleichgesetzt werden. Damit wird das zu meinem Problem, weil ich dann über ihn, den Menschen, schreibe, um mich dem zu nähern, was er macht. Nur: Wie ist jemand, der unter keinen Umständen in die Kategorie „Soulbarde“ in Verbindung mit „geplänkelte Balladen“ geschoben werden will, aber trotzdem reinpasst?

Raz, eigentlich Patrick Rasmussen, anfang zwanzig, Halbdäne und Wahlberliner, bewegt sich nicht in dieser Liga, denn er versucht, dem Kitsch mit Wahrhaftigkeit beizukommen. So ist The Last Legend ein Tribut an seinen verstorbenen Vater, der auf dem Cover als Jugendlicher zu sehen ist. Er war ein Seemann, ein Kapitän, und für Raz stand er für Res-pekt und die Ruhe, die jemand ausstrahlt, der den ganzen Tag aufs Wasser schaut. Einer, wie Raz sagt, der sich nicht dauernd selbst darstellen musste.

Das Album klingt empfindlich empfindsam. Es badet selbstvergessen und tief in Befindlichkeiten, die Arrangements dagegen hat Raz im Vergleich zur ersten LP zurückgenommen. Zart besaitete Gitarren und ihre Effekte sind zugelassen, andere Instrumente wie Rassel oder Djembe halten sich im Hintergrund und möchten die traute Besinnlichkeit nicht stören. Bei sich Ankommen ist angesagt, oder es zumindest versuchen. Er will sich nichts mehr vormachen, vielleicht, weil ihm Dinge in der letzten Zeit – in den zwei Jahren seit dem Tod des Vaters oder zwischen den beiden Alben – klarer geworden sind. Es ist seine Art der Vergangenheitsbewältigung, zurück zu seinen früheren musikalischen Entwicklungsstadien zu gehen, als er mit der Gitarre begann. Über die Gitarren legt sich seine soulige Stimme, die an Prince erinnert. Weitere Vorbilder Raz' sind die Jackson 5 und Michael Jackson, deren „Ready Or Not“ und „Liberian Girl“ er zitiert. Von den Tracks geht Geruhsamkeit aus und ein wunderbares Gefühl des Nachdenklichseins. Sie verbreiten ein wenig die Aura von Lagerfeuerromantik und klingen malerisch, als würde er auf dem Fensterbrett sitzen, die Saiten zupfen und irgendwohin nach innen abschweifen. Schließlich sammelt er einzelne Gedankenfetzen zusammen und nimmt sich ganz ernst dabei. Und es schwingt die Sehnsucht des einsamen Prinzen Raz mit, der auf seiner Burg wartet, bis ein Mädchen vorbeireitet, das ihn mitnimmt.

Ist er jemand, der in seinem Leben steht – oder neben sich? Raz' Musik klingt vage, so als ob sie Zeit braucht, konkret zu werden, weil das Zwischen-Entscheidungen-Schweben ein angenehmes Lebensgefühl sein kann. Genauso vage spricht er darüber, weil er nach Worten für das sucht, was er mit der Musik schon gefunden hat. Aus Sprachlosigkeit greift er deshalb auf Klischees und Allgemeinplätze zurück. Etwa, wenn er von seinem Album sagt: „Es war wichtig, das zu machen, auch für die ganze Menschheit. Ich will die Welt verändern.“ Sicher offenbart Raz Ohara sich mit seiner Musik. Demonstrativ ansagen muss er das nicht mehr, er macht es aber trotzdem. Bewusst ist er sich seiner verschiedenen Thematiken, wirklich bei ihnen angekommen noch nicht. Aber bei sich selbst ein Stück weit. Bei mir kommt dagegen nur seine Unklarheit an, die ihn umgibt. Wenn er seine Single „Reality“ beschreibt, sagt er: „Mir geht es um die Wahrnehmung von Realitäten, die nicht bezahlt werden. Es gibt andere Ebenen, die wichtiger wären, wie die Wahrnehmung von Gefühlen.“

Ein weiteres Thema ist das der Musik als Selbsttherapie, und immerhin hat diese Üblichkeit, der Wille zur Therapie, eine schöne Platte hervorgebracht. Er begreift sein Album als Standpunkt zum Festhalten: „Es steht für Runterkommen und ehrlich mit mir sein, damit ich mich selbst nicht verliere und noch weiß, was ich richtig und falsch finde“, sagt Ohara und es ist ihm ernst dabei. Vielleicht ist gerade das sein Problem, denn ohne Humor und lässigen Abstand kann er in die Sentimentalität abrutschen. Erfreulicherweise nie in rührige Gefühlsduselei, dazu ist er zu aufrichtig. Die Ironie ist vorüber, aber das Pathos noch da, wenn er singt „it's a sad world“.

mit Andi Künnecke: Sonnabend, 22 Uhr, Astra Stube