Zeugen den Rücken freihalten

Kostenlose Unterstützung und Begleitung für Opfer von Gewalttaten bei ihrem Zeugenauftritt vor Gericht

Bei dem Gedanken an den Prozess bekommt die 38-jährige Informatikerin Melanie S.* weiche Knie. Im Herbst wird sie vor Gericht gegen ihren Ehemann aussagen, der sie geschlagen und vergewaltigt hat. Nach der Tat war sie sofort mit dem gemeinsamen Kind ausgezogen. Der Mann versuchte sie am Telefon und per E-Mail unter Druck zu setzen, die Strafanzeige zurückzuziehen. Melanie S. hat Angst, dass er am Tag des Prozesses alles dran setzen wird, sie zum Einlenken zu bewegen, wenn sie ihm allein auf dem Gerichtsflur begegnet.

Menschen wie Melanie S. wird jetzt Hilfe angeboten. Im Kriminalgericht Moabit ist gestern eine Zeugenbetreuungsstelle eingerichtet worden. Vorbild für das Projekt, das auf Initiative der Opferhilfe Berlin e. V. in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Justiz entstand, sind entsprechende Einrichtungen in den USA, Israel und einigen deutschen Städten wie Limburg, Kiel, Magdeburg und Düsseldorf. In den zwei schön renovierten Räumen, die in krassem Gegensatz zu dem tristen Ambiente des Gerichtes stehen, bieten nun zwei Sozialpädogoginnen eine kostenlose, vertrauliche Zeugenbetreuung an.

Zielgruppe sind jugendliche und erwachsene Zeugen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind. Sie können sich in der Stelle über den Ablauf einer Gerichtsverhandlung informieren, sich über ihre Rechte und Pflichten als Zeugen aufklären lassen und Beratungs- und Therapieangebote einholen.

Das Wichtigste ist aber: Die Zeugenbetreuerinnen bieten eine Begleitung zum Gerichtssaal an, bleiben bei der Verhandlung dabei und verhindern damit, dass der Angeklagte direkten Kontakt zum Opfer aufnehmen kann. Von der Existenz der Einrichtung erfahren die Zeugen durch ein Informationsblatt, das fortan jeder Ladung zum Prozess beigelegt werden soll.

Dass das Land Berlin in den Zeiten leerer Kassen 100.000 Mark im Jahr für ein neues Projekt zur Verfügung stellt, während andere freie Träger schwer knapsen müssen, hat seinen Grund: Die Zeugenbetreuungsstelle ist ein persönliches Steckenpferd des Regierenden Bürgermeisters und Justizsenators Eberhard Diepgen (CDU). „Das war eine meiner ersten Entscheidungen im Amt als Justizsenator“, sagte Diepgen gestern bei der Eröffnungsfeier mit Häppchen und Sekt. Durch eine Unterstützung des Opferschutzes wolle er in der Justizpolitik „Akzente setzten“.

Melanie S. weiß zu schätzen, dass ihr eine Zeugenbetreuerin in dem Prozess den Rücken freihalten wird. Dann sei sie vielleicht in der Lage dem Mann, der sie 13 Jahre lang kleingehalten habe, Paroli zu bieten. „Es geht mir nicht um eine hohe Strafe“, erklärt sie, „sondern darum, dass ihm ein Richter sagt: Das war nicht in Ordnung.“ Für ihren Mann sei die Tat nämlich nur ein Kavaliersdelikt. PLUTONIA PLARRE

* Name geändert

Die Zeugenbetreuungsstelle ist von Montag bis Freitag jeweils von 8 bis 14 Uhr geöffnet. Kriminalgericht Moabit, Eingang Wilsnacker Straße Tel.: 9014-3498 bzw. -3206. Möglichst frühzeitig Kontakt aufnehmen. Ein behindertengerechter Zugang ist gewährleistet.