zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Rennfahrer

Geschüttelter Martini mit Helm

Der Homo raseboldicus ist noch weit gehend unerforscht. Das liegt daran, dass er sich die meiste Zeit in einer kleinen bunten Kiste verbirgt, die noch dazu affenschnell ist, und sein Gesicht gewöhnlich durch einen monströsen Helm mit winzigen Augenschlitzen verhüllt, unter dem er auch noch eine Art Bankräubermaske trägt. Er ist auch so scheu wie ein Bankräuber, in der Regel kann man ihn daher nur relativ unscharf auf Bildern der zahlreichen Überwachungskameras erkennen, die seinen Lebensraum ausfüllen. Manchmal taucht er allerdings auch in Werbespots auf und stammelt unverständliches Zeugs.

Erstmals gesichtet wurde der Homo raseboldicus im frühen 20. Jahrhundert von Spaziergängern, die in einer abgelegenen Gegend der Eifel auf eine asphaltierte Lichtung traten und prompt umgemangelt wurden. Nach seiner Entdeckung wagte sich der notorisch fahrerflüchtige Geselle immer häufiger an die Öffentlichkeit, in jüngster Zeit lässt sich sogar eine gewisse Aufdringlichkeit zumindest im italo-germanischen Raum konstatieren.

Im gewöhnlichen Leben ist der Rennfahrer vollkommen überfordert und auf fremde Hilfe angewiesen. Fährt er zum Beispiel tanken, sitzt er stundenlang im Auto und wundert sich, dass nichts passiert. Hat er ein Panne, lässt er sein Gefährt mitten auf der Straße stehen, steigt aus und rennt weg, falls es explodiert. Gerne rammt er andere Fahrzeuge, die ihn überholen wollen, und Fußgänger, weil er sie für Streckenposten hält. Zur Bewältigung des schwierigen Alltags ist es unerlässlich, dass er sich einen Manager zulegt, der ihm alles abnimmt, oder eine Gouvernante, die er gern als seine Ehefrau ausgibt, was aber nur die Bild-Zeitung glaubt.

Eines der letzten ungelösten Geheimnisse des Homo raseboldicus ist, wie es ihm gelingt, sich fortzupflanzen, da er ja den ganzen Tag hermetisch abgeriegelt in einem engen Anzug steckt, der wie ein zweite Haut an ihm haftet, wenn nicht gar, wie vereinzelte Forscher behaupten, mit ihm verwachsen ist. Hinzu kommen die Prozesse, die sich unter seinem Helm während seiner Hauptbeschäftigung, den so genannten Rennen, abspielen. Dabei kreist der Homo raseboldicus mehrere Stunden lang in Gesellschaft einiger Artgenossen laut brummend und mit großer Geschwindigkeit um eine holprige Piste, was dazu führt, dass sein Gehirn am Ende einem geschüttelten Martini gleicht. In diesem Zustand fällt er auf die Stufe eines zweijährigen Kindes zurück und ist nicht einmal mehr zu einfachsten Handlungen in der Lage, zum Beispiel, auf zivilisierte Weise ein Getränk zu sich zu nehmen. Statt dessen spritzt er es wildwütig auf alle Umstehenden, ein Vorgehen, das besonderen Anklang bei Säuglingen und jugendlichen Schimpansen findet.

Ebenso bizarr ist das soziale Verhalten des Homo raseboldicus. Bei den meisten Exemplaren handelt es sich um ausgeprägte Einzelgänger, die ihr Revier mit allen zur Verfügung stehenden Pferdestärken verteidigen und die restlichen Vertreter ihrer Spezies von Herzen verabscheuen. Zwar gibt es gelegentliche Zweckgemeinschaften mit höchstens einem Artgenossen, doch sind diese nie von langer Dauer, dafür geprägt von fortschreitender Gehässigkeit. Dem mächtigsten Protagonisten der Herde wächst im Übrigen zum Zeichen seiner Würde ein gewaltiges Kinn.

Das Betätigungsfeld des Homo raseboldicus ist inzwischen nicht mehr auf den mitteleuropäischen Raum beschränkt, sondern er treibt sein Unwesen längst global. Vor allem bei jenen Völkern, die verstärkt zur Infantilität neigen, als da wären Australier, Japaner und Brasilianer. Eine wenig bekannte Tatsache ist, dass die Rennkurse auf der nördlichen Halbkugel dem Uhrzeigersinn entgegen führen, jene auf der südlichen Erdhälfte aber im Uhrzeigersinn. Wegen seines geschüttelten Martini ist das dem Homo raseboldicus aber zu hoch und er fährt einfach falsch rum. Eine Handlungsweise, welche sinnbildlich für die gesamte Existenz des rasenden Lenkradkurblers stehen könnte.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:H. Hirsch-Wurz, 36, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.