Nazis nur im Westen

War der Antifaschismus in der DDR nur verordnet? Und wie ging man in der Bundesrepublik mit kritischen Filmen zum Nationalsozialismus um? Retrospektive und Gespräche zum politisch umstrittenen Thema im Weißenseer Kino Toni

Es ist zu klären, ob es in der DDR einen „wirklichen“ oder lediglich einen „verordneten“ Antifaschismus gegeben hat

Ausgerechnet Heinz Rühmann – der in der Nazizeit ungeniert haufenweise fröhliche Filme drehte – wollte die Hauptrolle in „Jakob der Lügner“ spielen. Aber Erich Honecker lehnte das Angebot des ZDF ab, dieses Holocaust-Drama gemeinsam mit der Defa zu verfilmen – wegen der „Abgrenzungspolitik“ zur Bundesrepublik Deutschland.

So konnte Regisseur Frank Beyer, der diese Anekdote anlässlich der Filmreihe „Der Nationalsozialismus vom Aufstieg bis zum Untergang“ im Weißenseer Kino Toni erzählte, seinen Wunschkandidaten Vlashimil Brodsky für die Hauptrolle behalten. Acht Jahre nach der Fertigstellung wurde der Film 1982 für den Oscar nominiert. Es war eine der wenigen Defa-Produktionen, die weltweit Beachtung fanden.

Die Filmreihe „Der Nationalsozialismus vom Aufstieg bis zum Untergang“ im Toni wurde in dieser Woche als Teil der vom Wilhelm Fraenger Institut organisierten Retrospektive „Filme gegen das Vergessen“ gezeigt.

Anhand von sieben Defa- und zwei westdeutschen Produktionen sowie mehreren sich anschließenden Gesprächen mit Filmemachern und Wissenschaftlern aus Ost und West wollte man klären, ob es in der DDR einen „wirklichen“ oder lediglich einen von der SED-Führung „verordneten“ Antifaschismus gegeben habe.

Schaut man sich einfach mal ein paar Jahreszahlen an, kann man den Eindruck bekommen, dass die DDR früher als die Bundesrepublik ihre Bürger mit den Schrecken des Holocaust konfrontierte. Der Defa-Film „Jakob der Lügner“ wurde 1974 erstmals gezeigt, die US-amerikanische Serie „Holocaust“ gab es 1979 im ZDF. In einem aktuellen Glossar resümiert das ZDF nicht ohne Stolz, dass der Begriff „Holocaust“ überhaupt erst durch Ausstrahlung dieser Serie „in der deutschen Öffentlichkeit bekannt geworden ist“.

Was es mit den IG Farben auf sich hatte, erfuhren ostdeutsche Kinobesucher schon 1950. Filme wie der „Rat der Götter“, die antifaschistische Positionen bezogen, waren für die SED-Führung von großer Bedeutung.

Das Land habe sich als „Alternative zur deutschen Geschichte“ verstanden, so der Drehbuchschreiber Wolfgang Kohlhaase. Seiner Ansicht nach gehörte der Antifaschismus elementar zum „Legitimationsbedürfnis der DDR“.

„Die Diskussion über die eigene Vergangenheit ist in den 50ern wegen des kalten Krieges abgebrochen“, erinnerte sich wiederum die in der DDR ausgebildete Historikerin Anette Leo. Plötzlich waren alle akzeptiert, die sich loyal zum Regime verhielten. Niemand schien es zu interessieren, dass Nazis weiterarbeiten durften. So hätten „umerzogene“ Generäle und Soldaten die Volksarmee aufgebaut. Thematisiert sei das nie worden, erst recht nicht im Kino. „Man musste glauben, dass die Nazis tot sind, im Gefängnis oder im Westen“, so Leo. In Jena beispielsweise habe es nach der Wende große Aufregung gegeben, als sich herausstellte, dass ein beliebter Kinderarzt ungehindert weiter praktizierte, obwohl er während der Nazizeit in Euthanasieprogramme verstrickt war.

Überhaupt waren die geladenen Filmemacher sich einig, dass sich der plakative Antifaschismus der DDR hauptsächlich auf den kommunistischen Widerstand beschränkte. Erst ab den 70ern spielte beispielsweise der christliche Widerstand eine Rolle. Zuvor wurde ein Film nach dem anderen über den Krieg gedreht. Laut Frank Beyer dienten manche nur als Vorwand, um mit Schussszenen zu unterhalten. Dennoch belegten ein Teil der verschiedenen Werke, dass Künstler „mehr als einen verordneten Antifaschismus“ gemacht haben. Schließlich hätten sie die Themen in aller Regel selbst vorgeschlagen.

Wer sich nicht mit dem „verordneten“ Kulturprogramm begnügte, habe die Chance gehabt, sich umfassend über die Vergangenheit zu informieren. Alle anderen, so Historikerin Leo, dürften nicht viel über den Holocaust erfahren haben. Der Umgang der DDR mit dem Antifaschismus sei eng und beschränkt gewesen und habe – ob er nun verordnet gewesen sei oder nicht – sein Ziel im Wesentlichen verfehlt, wie man heute immer wieder erfahren müsse.

Aber auch die Bundesrepublik ging zu jener Zeit, in der der kommunistische Widerstand für die DDR die größte Rolle spielte, nicht weniger „schlampig mit der Geschichtsbildung“ um. Als Beleg dafür nannte Regisseur Michael Verhoeven die von ihm verfilmte Geschichte der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“, der man „im Westen bis dato eine pseudoreligiöse Deutung zugedichtet“ habe.

Nicht nur, dass Verhoeven auf Anträge zur Produktionsförderung Absagen kassierte. Auf Grund des Abspanns, der anprangerte, dass die Urteile der NS-Richter immer noch Bestand hätten, verbot das Auswärtige Amt den Goethe-Instituten die Aufführung des Films. Der vermeintliche Nestbeschmutzer setzte aber auch einen öffentlichen Prozess in Gang, der dazu führte, dass der Bundestag drei Jahre nach der Uraufführung im Jahr 1982 feststellte, dass „die als ,Volksgerichtshof‘ bezeichnete Institution kein Gericht im rechtstaatlichen Sinn, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung nationalsozialistischer Willkürherrschaft war“.

1996 gab der Bundesgerichtshof schließlich „das folgenschwere Versagen der bundesdeutschen Strafjustiz“ zu. Zum Abschluss der Reihe wünschte sich Kurt Maetzig, Defa-Mitbegründer und Regisseur eines der ersten antifaschistischen Filme der DDR, dass die gezeigten Filme einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden könnten und nicht immer in solch einen „engen Rahmen gequetscht“ würden. Denn es schien, als seien mit der Retro und den Gesprächen wieder einmal nur diejenigen erreicht worden, die ohnedies ihre Lehren aus der deutschen Vergangenheit gezogen hätten.

NINO KETSCHAGMADSE