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Der Luxus der Leere

Die Kunstszene in Berlin dehnt sich weiter aus. Gestiegene Mieten im In-Bezirk Mitte lassen die Grenze zu Kreuzberg wieder attraktiver werden. Dort entsteht im ehemaligen Niemandsland an der Mauer jetzt ein neues Galeriezentrum

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Kunst verlangt Raum. Ihre Besitzergreifung von Wänden, Wohnungen, leeren Fabriken und schließlich ganzen Stadtvierteln konnte man in Berlin in den Neunzigerjahren besonders gut im In-Bezirk Mitte beobachten. August- und Linienstraße bilden hier das Rückgrat eines noch immer expandierenden Netzes von Galerien, Kunstvereinen und mobilen Projekten. Tradierte Standorte einer kommerzfernen Kultur wie das an Mitte angrenzende Kreuzberg gerieten dagegen ins Hintertreffen.

Wo Kunst stattfindet, geht der Alltag auf Distanz. Diese Isolation gefällt den Künstlern selbst nicht und die Spielregeln zu durchkreuzen, gehört zu ihren liebsten Übungen. Dieses Paradox bearbeitet das skandinavische Künstlerpaar Michael Elmgreen & Ingar Dragset. In Reykjavik gruben sie den White Cube einer Galerie in die Erde ein wie eine Falle; in Leipzig engagierten sie zwei arbeitslose Maler, die Tag für Tag die musealen Wände weiß strichen. In Berlin haben sie jetzt den alten Raum der Galerie Klosterfelde 1:1 nachgebaut: 14 Mal würde dieser schmale Schlauch in die neuen Räume der Galerie passen. Denn die Galerie Klosterfelde ist aus der Linienstraße ausgezogen.

In der Zimmerstraße, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte, kann Martin Klosterfelde nun 460 Quadratmeter mit Kunst bespielen, wo bis vor kurzem noch Autos repariert wurden. Rund um die Auguststraße steht eine solche Größenordnung kaum noch zur Verfügung – und wäre auch nicht mehr bezahlbar, selbst für erfolgreiche Galeristen wie Klosterfelde.

Grenzgebiet

Neben ihm hat der chinesische Künstler Zhu Jinshi sein Lager für die mobilen Einheiten seiner temporären Installationen: Er baut fragile Türme und Räume aus Reispapier oder verschachtelt Fahrräder und Bambusrohre in komplexen Strukturen. Die Lage seines Ateliers berührt ihn eigenartig: Er denkt zurück an seine Fahrradtouren längs der Mauer. Für den Künstler, der 1986 aus China nach Westberlin kam, gleicht das Arbeiten im ehemaligen Niemandsland zwischen den beiden politischen Blöcken noch immer einem kleinen Wunder.

Tatsächlich lag der Komplex Zimmerstraße 88–91 fast dreißig Jahre lang in unzugänglichem Grenzgebiet. Noch weiter zurück in die Geschichte weist eine Tafel, die erst vor wenigen Wochen angebracht wurde: Hier lag das Konzerthaus Clou, das die Nationalsozialisten ab 1927 für Massenveranstaltungen nutzten und später als Sammellager für jüdische Zwangsarbeiter. Auf den Trampelpfaden der geschichtsversessenen Touristen, die knapp hundert Meter weiter am ehemaligen Checkpoint Charlie Souvenirs der Wende erstehen, liegt das Haus dennoch nicht.

Die Galeristen zieht vor allem die „undefinierte Situation“ an, die Leerstelle zwischen schon beschriebenen Gebieten. Noch konkurrieren nicht wie in Mitte Skulpturen und Hutkreationen, Galerien und Bars um die letzten Winkel und um ein Publikum, das in Berlin vor allem Neues erleben will. Das Abgeordnetenhaus und der Potsdamer Platz sind nicht weit. Richtung Osten dagegen hängen in der Zimmerstraße Planen über frisch verkleideten Fassaden, die Laden- und Büroraum provisionsfrei anbieten. Hier ist schon mancher Investorentraum zerplatzt.

Die Galerie von Max Hetzler, der sich auf seinen internationalen Ruf schon verlassen konnte, bevor er von Köln nach Berlin kam, begann 1996 in der Zimmerstraße 90 zu arbeiten. Letztes Jahr zogen Volker Diehl und die Galerie Nordenhake ein, dieses Jahr folgten Klosterfelde und Barbara Weiss, die Anfang Mai eröffnete. Schon Tage vorher, als noch überall die Umzugskisten standen, tauchten prominente Sammler auf, die den neuen Galerienkomplex durchstöbern wollten und es bis zu den alten Räumen von Barbara Weiss, die in der Potsdamer Straße etwas abseits lag, selten schafften. Die Rede von „einem neuen Galerienzentrum“ elektrisiert nicht wenige – als ob es sich um eine neue Aktie handle. Das ist schlicht übertrieben, selbst wenn weitere Galerien folgen.

Bei Barbara Weiss haben die Wiener Schwestern Christine und Irene Hohenbüchler mit Wandtäfelung, Flokatiteppich und großen farbigen Glasvasen eine Wohnzimmerlandschaft eingerichtet, die mit dem Charme des Hausgemachten und Kunstgewerblichen die Nüchternheit der neuen Geschäftsräume überspielt. Das ist tatsächlich kein Zufall: Je professioneller der Kunstbetrieb, der in Berlin Ost und West einiges aufzuholen hatte, geworden ist, desto mehr Akzeptanz erfährt auch gerade die künstlerische Geste der Verweigerung der Ware. Bei ihrer letzten Ausstellung in der Potsdamer Straße stellte Weiss Projekte von Andreas Siepmann vor, der sich mit Baustellen überall in der Welt und einem sozialen Strukturwandel beschäftigt, der den Raum der Stadt nach Besitzverhältnissen gliedert. So ist die Kritik, an dem was passiert, zu einer Spielfigur unter anderen geworden.

Standortentwicklung

Nicht alle, die an einem Strang ziehen, wollen das Gleiche. Der Galerist Matthias Arndt, der den Ruf von der jungen Kunststadt Berlin entscheidend mitgeprägt hat und nach etlichen Umzügen rund um die Auguststraße jetzt neue Räume in der Zimmerstraße 88 –91 anpeilt, beurteilt das Spiel skeptisch: „Erst haben die Galerien die Gegend aufgewertet, jetzt sind die Mieten für uns nicht mehr zu bezahlen.“ Volker Diehl dagegen, der Galerist und Geschäftsführer der Berliner Kunstmesse Art Forum ist, betont diese „Standortentwicklung“ als Leistung, die durchaus mehr Unterstützung verdient hätte. Die Vermieter des Areals, die Treuhand und das Land Berlin, zeigten in den Verhandlungen mit den Galeristen kein besonders Entgegenkommen.

Mit Skulpturen von Ulrich Rückriem zeigt die Galerie Nordenhake einen modernen Klassiker. Weniger bekannt ist der polnische Künstler Edward Krasinski, 1925 in Krakau geboren, der in der Galerie Klosterfelde eine ganze Halle inszeniert hat. Mit minimalen Gesten und konstruktivistischen Akzenten verkörpert er eine seltene Verbindung zwischen zeitgenössischen Konzepten und der Ingenieurskunst der klassischen Avantgarde.

Begleitend zur Zweiten Berlin-Biennale hatte Max Hetzler Hallen im alten E-Werk, das an die Zimmerstraße angrenzt, für einige Tage gemietet, in denen Darren Almond eine weitere Videoarbeit zeigte. Auch João Penalva, den Volker Diehl demnächst präsentiert, ist auf der Biennale vertreten. Einerseits profitiert die Stadt von diesem Zuspiel zwischen Galerien und Institutionen. Die Teilhabe an der internationalen Kunstszene wächst. Doch indem das Netz der Verknüpfungen immer dichter wird, wird der Zugang nicht einfacher. Wo die Investitionen der Mitspieler steigen, schwindet ihre Bereitschaft zum Risiko.

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