So singt der Sommer

Nur die Entspanntheit zählt: Bei Paulas Konzert im Maria am Ostbahnhof sprangen alle Gute-Laune-Freunde hundert Mann hoch durch den Saal

von HARALD FRICKE

Man hört viel Musik aus Berlin. In jeder Preislage mittlerweile, von der Kellerband bis zum Chartprojekt. Manchmal purzeln die Kategorien allerdings so schnell durcheinander, dass von diesem Taumel etwas an Orten im Kopf hängen bleibt, was vorher ganz woanders abgelegt war: zum Beispiel die Melodie von „Jimmy“, dem Helden, mit dem Paula vor nicht ganz einem Jahr in Läden quer durch Mitte liefen. Da dachte man sich das Duo noch mit Inga Humpes „Zwei-Raum-Wohnung“ als Neue Berliner Welle zusammen, die sich für den Winter irgendwo zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain am Ofen einkuscheln würde. Schwer zu ahnen, dass es noch viel besser kommen sollte.

Das Debüt „Himmelfahrt“ hat die beiden Paulas, Elke Brauweiler und Berend Intelmann, damals vom stylebewussten Hamburger „Marina“-Label zum Allround-Major „Orbit“ gebracht, bei dem auch Nina Hagen, Dune oder Mark Oh veröffentlichen. Mit „Liebe“ sind sie dort geblieben, touren schon zwei Wochen durch mittelgroße deutsche Clubs vom Hamburger Schlachthof bis in Darmstadts Centralstation und müssen sich auf viva 2 von Nils Ruf bei „Kamikaze“ nerven lassen. Gelitten haben sie darunter aber nicht: Seit letzter Woche ist ihre Nachfolge-CD „Liebe“ in den deutschen Top 100, das Video zu „Von guten Eltern“ findet sich auf MTV, und den Refrainzeile „uns wird die Sonne scheinen, das haben wir verdient“ könnte in den nächsten Monaten so eine Art ironischer Sommerkommentar werden, den sich Pärchen im Monbijoupark zuzwinkern.

Aber von Ironie ist bei der Record-Release-Party im Maria nichts zu spüren, nur von Begeisterung. Schaut man sich die Szene an, dann fällt erst mal auf: gar keine Szene. Verwaschene Jeans, ein paar ausgeblichene T-Shirts und viel Anti-Mode. Das schwer gehypte Eighties-Revival, der Geist des NDW, der zuletzt gerne in Verbindung gebracht wurde mit Paulas kantigen Synthiesounds und den hingekieksten Texten über Beziehungsstress, das alles bleibt doch sehr tief in der Mottenkiste vergraben.

Nur die Entspanntheit zählt. Deshalb kann Elke Brauweiler auch noch vor Konzertbeginn ganz unbefangen durch die Reihen bummeln und einer Freundin erklären, wie der aufwendige goldene Vorhang im Bühnenhintergrund festgemacht worden ist. Später wird sie im leopardengemusterten Kostüm alle grüßen und sich riesig freuen, dass der Laden tobt. Irgendwann wird sie Hits wie „Jimmy“ singen und „Als es passierte“, während die Leute hundert Mann hoch durch den Saal springen. Das sind Abende, an denen man glücklich die Welt so wahrnimmt, wie sie in Paulas Liedern auch beschrieben wird: zeitweise entrückt.

Offenbar kann Brauweiler weit auseinander driftende Musiksozialisationen in sich vereinen. Mal singt sie mit geübter Opernstimme, mal gurrt sie sich à la Marianne Rosenberg durch ein paar Schnulzen, als hätte sie Kreide gefressen; mal taucht sie auch in die anschwellende Euro-Disco-Elektronik ein, wie ein Au-pair-Mädchen beim Tanzen auf der Fähre nach England. Nicht so authentisch auf Riot- und Trash-Kurs wie Peaches, aber mit derselben Leidenschaft. Nachdem sie sich auf diese Weise mit Plastic Bertrands Punk-Renner „Ça plane pour moi“ singend durch den Saal gefräst hat, jubelt sie kurz auf, ruft „Das macht Spaß“ und stellt bei aller Liebe zum Pop fest, dass sie Rocksängerin hätte werden sollen. Und das meint sie in diesem Augenblick ganz ohne Anführungszeichen.

Vielleicht ist es Nena am Anfang ähnlich gegangen, in der Zeit vor NDW. Für Brauweiler sind es eher die Pet Shop Boys, mit deren barockem Dancefloor-Mobiliar sie sich identifiziert. Die Band, in der Intelmann neben zwei Begleitmusikern zwischen Schlagzeug, Gitarre und Keyboard hin und her eilt, hat vermutlich mehr für Pavement übrig, funktioniert aber prima im Rahmen von Paula, wo jeder dunkle Tag mit hellem Sonnenschein verzuckert wird. Auf Platte ist dieses Konzept ein wenig glatt und vorsichtig, zu sehr auf Wohlbefinden hin produziert. Im Konzert dagegen liegen schlagerhafte Leichtigkeit und rauschartige Verausgabung sehr nahe beieinander. Mit Paula könnte das Leben wieder ein bisschen wie ein Bootleg sein, dann wäre alles ganz in Ordnung.