Positiv oder nicht?

Anthroposophische Medikamente sollen auch weiterhin von den Kassen übernommen werden – aber lediglich als Anhang zur „Positivliste“

von GREGOR ZACHARIAS

Sie sind gefragt, wenn die Schulmedizin mit ihrem Latein am Ende ist: Anthroposophische Medikamente, die meist aus Naturstoffen hergestellt werden, sind gerade für chronisch Kranke häufig der letzte Rettungsanker.

Nach der anthroposophischen Lehre sollen die Heilmittel dabei nicht nur auf die Symptome der Krankheit einwirken, sondern auch die Selbstheilungskräfte des Organismus anregen. Verschrieben werden sie in der Regel von Ärzten, die die anthroposophisch orientierte Heilkunde zwar nicht als Alternative, aber als eine Erweiterung der naturwissenschaftlichen Medizin verstehen. Die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte mit Sitz in Stuttgart zählt derzeit rund l.000 Mitglieder.

Ob sie auch in Zukunft auf diese Therapieformen zurückgreifen können, hängt nicht zuletzt von der so genannten Positivliste für Medikamente ab, einer Liste, die jene Arzneimittel aufführt, die künftig von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet werden. Derzeit zerbricht sich darüber noch eine neunköpfige Expertenkommission im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums den Kopf. Die Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.

Doch der Widerstand hat sich schon formiert. Die Bundesregierung versucht mit der Liste – nicht zum ersten Mal – die stetige Kostensteigerung im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Die Ärzte sehen darin unter anderem eine Beschränkung ihrer Verordnungsfreiheit, die zudem keine Einsparungen brächten. Und auch die Pharmaunternehmen stehen in den Startlöchern, um gegebenenfalls mit allen Mitteln gegen diese Liste vorzugehen.

Hinter vorgehaltener Hand werden deshalb auch erhebliche Vorbehalte geäußert, ob die Liste überhaupt jemals zustande kommt. Zudem wird Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nachgesagt, im Gegensatz zu ihrer bündnisgrünen Vorgängerin im Amt, Andrea Fischer, kein gesteigertes Interesse an einer solchen Liste zu haben.

Fest steht wohl schon jetzt: Arzneimittel der „besonderen Therapierichtungen“ – neben der anthroposophischen Medizin gehören dazu die Homöopathie und die Phytotherapie (also Pflanzenheilkunde) – sollen nur noch im Anhang der Positivliste auftauchen. Bedeutet dies den Anfang vom Ende für die anthroposophische Heilkunst? Der ärztliche Leiter des anthroposophisch orientierten Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin, Harald Matthes, ist zumindest skeptisch. Durch die Unterteilung der Positivliste in einen Hauptteil und einen Anhang sieht er die Gefahr einer Klassifizierung der Medikamente. Dies könne den Eindruck erwecken,dass es Heilverfahren unterschiedlicher Qualität gibt, meint Matthes, selbst Mitglied der „Positiv-Kommission“.

Georg Soldner, Vorstandsmitglied der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte, spricht von einer „Sollbruchstelle“. Der Anhang der Positivliste könne vom Gesetzgeber jederzeit „gekippt“ werden, ist der Münchner Kinderarzt überzeugt. Andere glauben, dass Ärzte sich vor allem am Hauptteil der Liste orientieren werden, weil der Anhang eben doch nichts anderes ist als eben ein Anhang zum eigentlichen Werk.

Dabei ist offenbar alles so einfach. Alle Medikamente, die auf der Liste verzeichnet sind, egal ob im Hauptteil oder sonstwo, müssen von der GKV übernommen werden, betont Norbert Schleert. Der Abteilungsleiter Arzneimittel beim AOK-Bundesverband in Bonn sieht die gegenwärtige Aufregung deshalb auch eher als Folge einer von interessierter Seite – sprich: den Pharmaunternehmen – gestreuten Desinformation. Zumal die großen Renner bei den „besonderen Therapierichtungen“ Phytopharmaka und Homöopathika sind. Der Arznei-Verordnungs-Report von 1999 registrierte nach Angaben des Wissenschaftlichen Instituts der AOK bei den anthroposophischen Medikamenten gerade einmal etwas über 900.000 ärztliche Verordnungen mit einem Jahresumsatz von rund 52 Millionen Mark. Dabei handelte es sich um ganze elf verschiedene Präparate. Der Grund: In dem Bericht wurden nur Medikamente berücksichtigt, die mindestens 25.000-mal verschrieben wurden. Im Vergleich dazu kamen die Phytopharmaka auf 53,4 Millionen Verordnungen (Umsatz:1,55 Milliarden Mark) und die Homöopathika auf immerhin 18,9 Millionen Verordnungen (Umsatz: 322 Millionen Mark). Angesichts eines Arzneimittelmarkts mit einem Volumen von rund 35 Milliarden Mark handelt es sich bei den anthroposophischen Arzneien also eher um kleine Fische.

Aber so lange der Gesetzgeber sich – wie im Arzneimittelgesetz festgelegt – zum „Wissenschaftspluralismus der Medizin“ bekennt, werden auch diese Fische genügend Wasser und Futter bekommen, um zu überleben.