„Das Gesetz ist fernab der Realität“

Warum Stephanie Klee, die als Hure arbeitet und für das Gesetz gekämpft hat, mit dem Entwurf nur halb zufrieden ist. „Viele Kolleginnen wollen das Gesetz nicht, weil ihre Anonymität aufgehoben würde“

taz: Nach dem gestern im Bundestag vorgestellten Gesetzentwurf könnte man einen Freier auf Lohn verklagen. Sehen Sie dafür einen Bedarf?

Stephanie Klee: In der Vergangenheit ist das natürlich kaum vorgekommen, weil wir wussten, dass wir vor Gericht nicht Recht bekommen würden. Deshalb haben wir vorab kassiert. Aber wenn man einen Gast schon länger kennt, kommt man sich fast ein bisschen geldgierig vor, wenn man vorher kassiert. Es ist angenehmer, wenn der Gast mir zum Abschluss einen Umschlag mit dem Geld überreicht. Ich kann mich ihm gegenüber anders verhalten, ein Stück Normalität einziehen lassen.

Umgekehrt ist es nach dem Entwurf so, dass Freier Huren nicht verklagen können, wenn sie mit der Leistung nicht zufrieden sind. Finden Sie so einen einseitigen Vertrag in Ordnung?

Nein, das gefällt mir nicht. Offensichtlich hat Rot-Grün Angst, in eine inhaltliche Auseinandersetzung über Sexualität zu geraten. Wenn wir eine Dienstleistung anbieten, muss der Vertrag beidseitig sein, wie beim Friseur oder bei der Massage. Wenn man französisches Vorspiel vereinbart und es dann nicht macht, dann hat man den Vertrag nicht erfüllt. In der Praxis würde aber kaum ein Gast klagen, er müsste sich dann ja outen, das würden die meisten scheuen.

In Bordellen könnten Huren nun angestellt werden, aber mit der Einschränkung, dass der Betreiber nicht vorgeben darf, was sie zu leisten haben. Ist das realistisch?

Das ist völliger Quatsch, denn in den meisten Betrieben gibt es faktisch Arbeitsverträge, mündliche natürlich. Wenn sie in einem Dominastudio arbeiten, sind da Rollenspiele und S/M-Praktiken abgesprochen. Und wenn sie in einer Wohnung arbeiten, wird man sie fragen: Was ist dein Spektrum? Ich würde etwa sagen, ich mache keinen Analverkehr und keinen Sex ohne Kondom. Wenn der Betreiber das aber einfordert, gehe ich woanders hin. Da ist das Gesetz fernab der Realität.

Wenn man Prostitution zu einem normalen Beruf mit normalen Arbeitsverträgen gemacht hätte, hätte man den Huren eher einen Gefallen getan?

Natürlich. Denn mit diesem Gesetz haben wir die gleiche Situation wie bisher, dass es nämlich auf die Auslegung des Gesetzes ankommt. Was ist denn, wenn ein konservatives Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Sittenparagraf im BGB ein höherrangiges Recht ist und dieses neue Gesetz dem unterzuordnen ist? Und zu dem Ergebnis kommt, dass Prostitution nach wie vor dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen“ widerspricht? Dann muss man wieder durch sämtliche Instanzen gehen.

Wie, denken Sie, werden die Bordellbetreiber reagieren?

Sie werden keine Arbeitsverträge abschließen, weil es diese Rechtsunsicherheit gibt. Sie würden dann etwa mit den Angaben gegenüber den Krankenkassen dem Staat Beweise liefern, dass sie weiter gegen den Zuhältereiparagrafen verstoßen. Viele Kolleginnen wollen das Gesetz auch nicht, weil dann ihre Anonymität aufgehoben würde; das Finanzamt ist schneller hinter ihnen her. Und wer Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld kassierte oder Unterhalt durch den Ehemann, ist dann dran. Das ist ähnlich wie in allen Berufen: Schwarzarbeiten ist lukrativ.

Warum tun Sie es dann nicht?

Ich lebe ein sehr angenehmes Leben, seit ich meine Firma angemeldet habe. Mir kann keine Kollegin damit drohen, dass sie mich anschwärzt. Ich möchte auch das Recht haben, einen Gast zu verklagen. Sollte ich mal wieder ein Bordell eröffnen, möchte ich auch keine Razzien haben. Ich schlafe einfach ganz gut.

Werden Sie denn Ihre Mitarbeiterinnen anstellen?

Ich würde mir die einzelne Mitarbeiterin angucken und sehen, welche Form von Arbeitsvertrag möglich wäre. Dann würde ich sehen, was das kostet und was sie mehr arbeiten muss, um diese Kosten wieder reinzuholen, wenn sie dazu gewillt ist.

Wird Sex dann teurer?

Hoffentlich. Die Preise hier in Berlin sind derart kaputt, das wäre schön, wenn sich da etwas täte. Der Preis ist ja auch ein Ausdruck der Achtung der Freier für unsere Leistung.

Glauben Sie, dass das Gesetz die Stigmatisierung von Huren aufbrechen kann?

Nein, das sind zwei Ebenen. Aber vielleicht treten mehr Huren selbstbewusst in die Öffentlichkeit und fordern ihre Rechte. Dann gibt es vielleicht weniger von diesen Märchen, dass jede Frau Opfer der Zuhälter wäre. Es ändert sich ohnehin viel, seit Huren mehr an die Öffentlichkeit gehen. Heute kommt ja keine Talkshow mehr ohne Prostituierte aus. INTERVIEW: HEIDE OESTREICH