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press-schlagModerne Telefontechnologie als Geißel des urlaubenden Schalke-Fans

Schrecksekunde in der Hohen Tatra

So haben wir nicht gewettet. Genauer gesagt haben wir sogar Geld verloren, kann ja auch kein Mensch ahnen, dass sich die verdammten Schalker im letzten Augenblick, als der Sekt schon geöffnet, die Mundwinkel schon himmelwärts gerichtet und, vor allem, die Jubel-SMS schon ins klitzekleine Display eingetippt war, noch einen mitgeben lassen! Nur auf „Nachricht senden“ hätte ich noch gehen müssen, um dem besten Freund und einzigem schwulen Schalke-Fan meines Lebens, der leider seinen lange geplanten Polenurlaub nicht verschieben konnte, ein in Versalien geschriebenes „Hipp Hipp“ irgendwo in die Hohe Tatra zu schicken.

Ich hatte die Anweisung, mich während des Spiels bei jeder Chance und jedem Tor, das bei Bayern gegen Kaiserslautern fiel, unverzüglich zu melden. Gern auch persönlich: Der Handy-Neu-Besitzer hat sich nämlich nicht nur das S04-Logo als klitzekleines Stück Fliegendreck auf sein Display geladen, sondern ich liebe Freundin habe ihm, dem Techniklaien, die Melodie von „Schalke 04, Liebe in Revier, Junge, da fällt dich nichts mehr ein“ als Klingelton einprogrammiert. Und so freut der Mann sich jedes Mal, wenn er klingelt, der kleine Unglücksknochen.

Also saß ich während der Konferenzschaltung in der Küche herum, riss vor Aufregung abwechselnd große Stücke von der neuen Sonnenblumenkernmilka und meinem Lieblingsziegengouda ab, freute mich über Bremen und hatte Angst, wenn der Moderator aus Schalke drankam. Letzte Woche hatte ich glatt gedacht, Schalke gegen Wolfsburg sei abends, und hatte dem Freund nachmittags, während des Spiels, bei dem er dabei war, eine alberne, unwichtige SMS geschickt. Blasse Entschuldigung, ich weiß, das passiert außer mir vermutlich nur seinen ignoranten Tuntenfreunden und seiner Mutter, wenn ein Familienmitglied im Sterben liegt. Glücklicherweise schaltete ich aber doch noch das Radio ein und konnte eine Sorry-SMS hinterhersenden.

Es ist nun wirklich nicht so, dass wir weniger reden und mehr komische Kurzmitteilungen schreiben, aber manchmal bietet es sich einfach an: Eben wenn man im Zug sitzt, auf einem polnischen Berg herumwandert oder geschwollene Mandeln hat. Oder ihn auf etwas aufmerksam machen möchte: Neulich lief in der grauseligen Sat.1-Sendung „Blitz“ ein Beitrag über eine schalkeverseuchte Berliner Familie. Das Schlimmste war, dass der kleine Sohn natürlich nach einem Spieler benannt war (Marco Radek Emilio oder so). Wie diese Borderline-Familie ihre Tochter nennt, möchte ich gar nicht wissen. Vermutlich Heulsuse. JENNI ZYLKA

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