Sehnsuchtsorte

Auf der Suche nach den verlorenen Diamanten: Mit einer Lesung und der Verleihung eines Preises begann die Literaturwoche im Prenzlauer Berg

Hin zu unverfälschten literarischen Stimmen, weg vom medialen Starpotenzial eines Autors

von KARSTEN KREDEL

Sonntagvormittag kurz vor elf: Über dem „LiteraturOrt Prenzlauer Berg“ scheint die Sonne, und die Tische vor den Cafés um den Kollwitzplatz sind bereits voll besetzt. Alles hat sich verändert, aber ein guter Ort für Literatur ist es geblieben. Hier wird immer noch gelebt und geschrieben. Und vorgetragen: Eine Woche lang präsentiert das Viertel seine Dichter. Los geht es, in Rufweite der Frühstücksbüfetts, mit dem erstmals verliehenen „Literaturpreis junger AutorInnen“, um den sich elf Jungliteraten mit unveröffentlichten Texten bewerben.

Gelesen wird im Musikzimmer der „Bibliothek am Wasserturm“, zwischen Regalen mit CDs und Gesellschaftsspielen wie „Diamantenjagd“. Zu selbiger wurden im Vorfeld die Vertreter der Verlage aufgerufen. Es gehe darum, so die Ankündigung der Organisatoren, die Aufmerksamkeit wieder auf die unverfälschten literarischen Stimmen und weg vom medialen Starpotenzial eines Autors zu richten. All zu viele Verlage scheinen zwar nicht hier zu sein, dafür aber ein Kameramann, der zwei Stunden lang die Vortragenden beim Lesen und das Publikum beim Zuhören filmen wird. Die Stimmung ist entspannt, Gesprächsthema Nummer eins dasselbe wie bei denen, die um die Ecke beim Milchkaffee sitzen: Estland hat den Grand Prix gewonnen. Hier soll es drei Preise geben: einen für Lyrik, zwei für Prosa.

Dann geht es los, jeder hat zehn Minuten, die Lyriker fangen an. Daniel Falb liest fast narrative Miniaturen, die sehr dicht sind und diszipliniert komponiert, dabei aber Gedanken eher freisetzen als sie einsperren. Sehr ambitioniert und mit dem Willen zum großen Wurf sind dagegen die Gedichte von Florian Voß, der es sich zudem nicht nehmen lässt, einen kalkulierten Zynismus zu probieren und als Liebesgedicht anzukündigen, was sich als kurze grafische Beschreibung eines Gemetzels herausstellt. Im Vergleich dazu führt Monika Rinck vor, wie sich zwischen klaren Bildern und Verlorenheit in Sprache changieren lässt und dabei ganz unprätentiöse Ironie und Komik entstehen kann. Ihre „Sportgedichte“ erhalten den einzigen Szenenapplaus, und die erste Siegerin steht eigentlich schon fest.

Die Lyrik hat in den letzten Jahren keinen Medienboom erlebt und so auch keine formalen Blaupausen für literarischen Erfolg etabliert. Anders ist es bei der Prosa. So überrascht es kaum, als nach der Pause zwar die Qualität der Texte erheblich stärker schwankt, die sprachlichen Ansätze sich aber gleichen. Ästhetische Experimente finden nicht statt. Spannung kommt auf bei der Geschichte von Karla Reimert, die auf autobiografischem Boden steht, aber auch einen darüber hinausgehenden kritischen Diskurs über Möglichkeiten künstlerischer Intervention führt, ohne ihn in Eindeutigkeit aufzulösen. Andere Texte sind sensationalistisch oder sozialpädagogisch.

Die Juroren ziehen den richtigen Schluss und vergeben anders als geplant zwei Preise an die nur vier Lyriker, an Daniel Falb und eben Monika Rinck für ihre „Sportgedichte“, und nur einen für Prosa. Den erhält Jan Brandt für seine schöne Kurzgeschichte „Schokolade“ über diese bestimmten Sommertage an der Schwelle zum Erwachsenwerden, die sich für immer ins Gedächtnis brennen: Da ist eine unbestimmte Sehnsucht, während sich alles aufzulösen und alles möglich zu sein scheint.

Es ist eine warmer Tag, und der angenehme Fluss der Erzählung trägt einen hinaus zu den zwitschernden Vögeln. Irgendwie hat alles seine Richtigkeit. Und bis vier kann man jetzt noch frühstücken.

„LiteraturOrt Prenzlauer Berg“ geht noch bis zum 20. Mai mit Lesungen rund um den Kollwitzplatz