Die Wahrheit hinter der Bewegung

■ Feinsinnige Gedankengebäude: Thomas Lehmens mono subjects auf Kampnagel

Der Mann redet viel. Er steht auf der Bühne und sagt, was er tut. Ganz unverblümt und gerade he-raus. Vielleicht durchleuchtet er noch die eine oder andere Stimmungslage, die ihn da vorne Auge in Auge mit den ZuschauerInnen befällt. Er teilt sich mit. Er spricht über das, was ihn bewegt. Schließlich ist der Mann Tänzer. Ein Tänzer, der denkt, der, wie er es selbst ausdrückt, „hinter die Bewegung zu blicken versucht“ und dabei seinem Publikum sagen will: „Das ist es, was ihr seht, nichts weiter.“

Thomas Lehmen, Tänzer und Choreograf mit Wohnsitz in Berlin, der sich jetzt auf Kampnagel präsentiert, rettete den handfesten Pragmatismus, den ihm seine Geburtsstadt Oberhausen und der Job als Stahlarbeiter bei Krupp in Duisburg eingeimpft haben, hinüber in die Tanzwelt. Weder will er Geschichten vertanzen, noch interessiert es ihn, die Tanzhistorie zu reflektieren. Doch wenn seine Fingerkuppen leise an die zerbrechlichen Fensterscheiben trommeln oder seine Hand über den Boden streicht, auf dem er selbst gerade steht, während er davon spricht, dann entfaltet sein Tanz eine einnehmende Sinnlichkeit.

Der heute 38-jährige Lehmen begreift sich immer noch als „Handwerker“, der stets den Menschen im Tänzer auf die Bühne stellt. Und wenn der Choreograf, wie jetzt in seinem neuesten Stück mono subjects, zusammen mit weiteren TänzerInnen (Maria Clara Villa-Lobos, Gaetan Bulourde) arbeitet, dann verweigert er Vorgaben, die möglicherweise Projektionen erzeugen könnten, um an etwas heranzukommen, das er mit „Wahrheit“ bezeichnet. Provokant und geistreich hinterfragt Lehmen das Verhältnis von AkteurInnen und Publikum. Das hat er in dem Solo dis-tanzlos getan, mit dem er bei der Tanzplattform Deutschland im Januar 2000 beachtliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Und auch in mono subjects, das vom 17. bis 20. Mai auf Kampnagel gastiert, wird sich alles um die Strategien in der Performance drehen.

Dabei knüpft Lehmen, wie er feststellt, „an Zustände des normalen Lebens an“. An Ereignisse, die sozusagen den Mann auf der Straße unmittelbar bewegen. Fußball zum Beispiel. Und als Lehmen Ende letzten Jahres zum Abschluss seiner Residence auf Kampnagel eine Kostprobe seines neuen Stücks zeigte, da hechtete er in nachgestellten Spielsituation von Schalke 04 über die Probebühne. Dennoch: So simpel und gradlinig, wie es hier scheint, funktioniert sein Tanz nicht. Äußerst präzise beobachtet sind Lehmens hoch sensible Bewegungsstudien, die mit einem feinsinnig gesponnenen Gedankengebäude im ständigen Dialog stehen. Lehmen, der bei Sasha Waltz in Berlin und bei Marc Tompkins in Paris tanzte, begann seine Künstlerkarriere als Rockmusiker, spielte Bass, Gitarre und Trompete.

23 Jahre alt war er bereits, als er 1986 in Amsterdam an der School for New Dance Development eine Tanzausbildung begann. Seither ist er auf der Suche, „den wahren Zustand der Dinge zu erkennen“, jenen, der hinter der reinen Mechanik, aber diesseits der Illusion von Tanz liegt. Irmela Kästner

Premiere: 17.5., weitere Vorstellungen: 19.+20. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, k2