: Zwischen Grausamkeit und Empathie
Im Metropolis: Zwei Semidokumentationen des Österreichers Ulrich Seidl ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Ulrich Seidl ist bekannt für die Schonungslosigkeit seiner Filme. Tierische Liebe (1995) wurde gar, obwohl vom Österreichischen Fernsehen produziert, nicht dort ausgestrahlt. In der Semidokumentation über die Liebe der Wiener zu ihren Haustieren, so damals der unberechtigte Vorwurf, zeige Seidl auch Sodomie. Tatsächlich, so vermutete der Filmemacher 1996, habe das Fernsehen Angst vor Zuschauer-Protesten gehabt, so sehr habe er das heile Bild der Mensch-Tier-Beziehung angetastet und von seiner problematischen Seite gezeigt. Zu sehen ist in Tierische Liebe unter anderem der Zungenkuss eines Haustierhalters mit seinem Deutschen Schäferhund.
In Seidls Filmen spielen die Leute ausnahmslos sich selbst. Besser sagte man vielleicht: sind DarstellerInnen ihrer selbst, denn zwischen Dokumentar- und Spielfilm möchte Seidl keine Unterscheidung treffen. Damit seine Personen dies tun, nimmt sich der Österreicher oft monatelang Zeit, lernt sie kennen, baut ein Vertrauensverhältnis zu ihnen auf – bis eine Situation entsteht, in der sie hemmungslos vor der Kamera agieren. Die allerdings filmt mit nüchterner Teilnahmslosigkeit. Seidls Methode ist deshalb häufig als liebloser Voyeurismus interpretiert worden. Doch obwohl das Leben des Spießertums bevorzugter Gegenstand seiner Filme ist und er auch vor den intimsten Orten seiner Personen, der Toilette oder dem Bett, nicht Halt macht, verurteilen seine Filme nie.
Seidl stellt die Leute aus, das sicher. Doch sie haben sich dazu entschieden; der Exibitionismus, der sie dazu womöglich treibt, liegt nicht in der Verantwortung des Filmenden. In Mit Verlust ist zu rechnen (1992), den das Metropolis morgen Abend zeigt, wirbt ein frisch Verwitweter, als ihm die Lebensmittel im Tiefkühlfach ausgehen, in einem benachbarten tschechischen Dorf um eine deutschstämmige Witwe – vergeblich, wie sich herausstellt. Er steht dumm da am Ende, und doch: Er wollte bei seiner Werbung gefilmt werden. Mit Verlust ist zu rechnen ist zugleich ein Film über traditionelle Geschlechterverhältnisse, Deutschstämmige in Tschechien, über Hoffnungen auf ökonomische Verbesserungen. Doch solche „großen“ Themen sind in Seidls Semidoks immer nur insofern vorhanden, wie sie sich im Sprechen und Handeln seiner ProtagonistInnen äußern.
Models, am Sonnabend im Metropolis zu sehen, begleitet drei junge Frauen durch ihr Leben als Fotomodelle. Die bevorzugte Kameraposition Seidls befindet sich dabei hinter einseitig durchsichtigen Spiegeln von Clubs. Deren Toiletten sind der Ort für die Pläusche von Lisa, Vivian und Tanja über Tittengröße, chirurgische Eingriffe an Nase und Mund, Gewichtsprob-leme, Lover und Kondome, der Ort für den bei allen unterschiedlich ausgeprägten Kokskonsum und vor allem für unglaublich ausgiebiges „Frischmachen“ – Schminken und an den Klamotten Herumgezupfe. Seidl begleitete die drei aber auch zu Castings, an die Orte ihrer Arbeit und in ihre Wohnungen, in die Betten ihrer Liebhaber und Fotografen. Ein unglaublich düsteres Bild ergibt sich da von einem eigentlich glamourösen Gewerbe, es zeigt permanente Minderwertigkeitsgefühle, Realitätsverluste, geplatzte Träumen vom Weltruhm und eine fortschreitende Erniedrigung durch Männer.
Und hier schleicht sich dann doch die Frage an, ob ein freiwilliges „Mitspielen“ genügt, um die Models neben Seidl als gleichberechtigte Subjekte in dem Film erscheinen zu lassen. Wenn Vivian auf die verachtenden Worte ihrer Lover immer weniger schlagfertig zu antworten weiß und die Zuschauenden ZeugInnen ihrer zunehmenden Skrupellosigkeit im Umgang mit sich selbst werden, einer Skrupellosigkeit, die sie braucht, um in ihrem Job zu bestehen, ist das nur noch grausam. Diese Grausamkeit ist zwar nicht ohne Empathie, doch sowohl der Filmemacher als auch das Publikum weiß – spätestens nach diesem Film – immer mehr als Vivian oder Lisa oder Tanja. Leider wird Seidl entgegen der Ankündigung nicht im Kino anwesend sein, um auf solche und andere Fragen zu antworten.
Mit Verlust ist zu rechnen: morgen, 19 Uhr; Models: Sonnabend, 19 Uhr, Metropolis
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