auf augenhöhe
: Sieg des kleinen Mannes

Eine (vorläufige) Erfolgsgeschichte

Das Leben ist voller Geschichten von seltsamen, traurigen, verrückten und verzweifelten Menschen. In regelmäßigen Abständen finden einige von ihnen den Weg in die taz. „Ich war schon überall, und wenn Sie mir nicht helfen, dann ...“, heißt es in solchen Momenten in einem Ton, der keine Option auf Entzug offen lässt.

So war es auch mit Herrn Schumacher, der im vergangenen Sommer in der Kochstraße auftauchte. Probleme, am Empfang vorbeizukommen, hatte er nicht. Sein verschossener Anzug, aus dem Arme und Beine weit herausragten, das seltsames Zucken um den Vollbart herum und seine leicht hervortretenden Augen zeichneten ihn quasi als besonders hilfsbedürftig aus. „Frau Bollwahn, dritter Stock“, wurde ihm geraten.

Wenn man sich einmal an das nervöse Zucken gewöhnt hatte, erfuhr man in einer knappen Stunde allerhand über Schumacher: dass er seit 25 Jahren in einer 24-Quadratmeter-Wohnung in einem Mietshaus in Steglitz mit 26 Wohnungen und hoher Fluktuation introvertiert vor sich hin lebt; dass er Koch gelernt hat, sich aber seit seinem Ausstieg aus dem Berufsleben vorwiegend aus Büchsen ernährt; dass er leidenschaftlich Pfandflaschen sammelt und in Brandenburg abgibt, wo man ihn den „Plastewessi“ nennt, und dass er ein Problem hat: das Hauswartsehepaar.

Seit zwei Jahren geben sich Herr und Frau K. rund um die Uhr als personifizierte Hausordnung und überziehen Schumacher, den Außenseiter, den Sonderling, mit Anzeigen und machen ihn für alles verantwortlich, was nicht mit rechten Dingen zugeht: verschwundene Fußabtreter, beschmierte Briefkästen, Urin im Fahrstuhl, seltsame Geräusche des Nachts, Müll vor den Wohnungstüren, abgerissene Klingeln etc.

Weil nie jemand in flagranti ertappt wurde, schossen sie sich auf Schumacher ein. Bei der zuständigen Polizeidirektion häuften sich die Anzeigen. Der Kontaktbereichsbeamte hatte Mitleid mit Schumacher und der sozialpsychiatrische Dienst konnte nicht klären, wer in dem Haus verrückt ist. Schumacher jedenfalls nicht. Richter zeigten sich machtlos angesichts der verworrenen Geschichten und stellten die Verfahren meist ein.

Doch vor einem Jahr wurde Schumacher verurteilt. Weil ein Mieter gesehen haben wollte, wie er Blumenkübel zerstört, und die Hauswartsfrau, wie er einen Stein geworfen hat, bekam er vier Monate auf Bewährung wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung. Weil einige Aussagen in dem Prozess gelinde gesagt äußerst fragwürdig waren, ging Schumacher in Berufung und nannte unter anderem „Frau Bollwahn von der taz“ als Zeugin. Ich sollte entsprechend meiner damaligen Recherche aussagen, dass das Hauswartspaar labile Mieter unter Druck setzt und zu Falschaussagen drängt (taz vom 17. 6. 2000).

Am vergangenen Freitag war es so weit. Vor dem Saal 736 im Landgericht Moabit tummelten sich jede Menge bekannter Gesichter, die ebenfalls als Zeugen geladen waren: das Hauswartsehepaar – genervt und verkniffen wie immer –, ein Polizist – sauer über die verlorene Zeit –, der Hausbesitzer – jammernd über sein glückloses Haus –, der Mieter, der die Sache mit den Blumenkübeln gesehen haben wollte, und der Mieter, der der taz gegenüber gestanden hatte, von dem Hauswartsehepaar zu Falschaussagen angestiftet worden zu sein. Beim Anblick der personifizierten taz wurde er kreidebleich. Doch die entlarvende Zeugenaussage wurde ihm erspart. Nachdem das Gericht zwei Zeugen gehört hatte, die Ähnliches zu berichten wussten, wurde das Verfahren kurzerhand eingestellt. Trotzdem war mir Schumachers Dank sicher: „Toll, Frau Bollwahn!“, sagte er.

Zusammen verließen wir das Gericht. Mein Angebot, ihm einen Fahrschein zu spendieren, damit er nicht nach Steglitz zu Fuß gehen musste, lehnte er dankend ab. „Beim Laufen hat man immer so schön Zeit zum Nachdenken“, sagte er zum Abschied und zuckte mir zu. B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA