Die Blutbäder des italienischen Staates

Zahlreiche Anschläge erschütterten Italien von 1969 bis 1984. Dario Fo: Bombenleger war der Staat (23 Uhr, WDR)

Es sind Bilder wie aus einem Krieg: Rauch- und Staubschwaden ziehen durch die Luft. Der Platz ist mit Trümmern übersät, verstümmelte Tote liegen vor dem Gebäude und die Verletzten stöhnen. Sie werden übertönt von den heulenden Krankenwagen der Ambulanzen. Den vom Schock gezeichneten Menschen und Helfern steht das Grauen ins Gesicht geschrieben. Bologna, Hauptbahnhof, 2. August 1980: Eine in einem Wartesaal platzierte Bombe zerstört einen Teil des Gebäudes, zerreißt 85 Menschen und fordert 200 Verletzte.

Mit den Aufnahmen von Bologna beginnt Bernhard Pfletschingers und Claus Bredenbrocks Dokumentation „Italiens blutiges Staatsgeheimnis – ein Nobelpreisträger klagt an“. Pfletschinger und Bredenbrock haben sich zweierlei vorgenommen: Sie wollen die Zuschauer über die lange Blutspur informieren, die der rechte Bombenterror von 1969 bis 1984 durch Italien zog; und sie wollen zugleich die Aktivitäten des Mannes präsentieren, der seit dreißig Jahren immer wieder mit künstlerischen Mitteln politische Kampagnen gegen die „stragi di stato“, die einstigen Blutbäder des Staates führt: Dario Fo.

Altes Bildmaterial von den zahlreichen Anschlägen – 1969 auf eine Bank in Mailand, 1974 auf eine Gewerkschaftskundgebung in Brescia und auf einen Zug, 1980 auf den Bahnhof Bologna, 1984 dann wieder auf einen Zug – wechselt in schneller Folge mit Aufnahmen von Dario Fos Aktivitäten. Da sind Theateraufnahmen von 1972, als Fo den „Zufälligen Tod eines Anarchisten“ auf die Bühne brachte: Die Polizei hatte 1969 den Anschlag von Mailand der Linken in die Schuhe schieben wollen, und einer der verdächtigten Anarchisten stürzte beim Verhör aus dem Fenster.

Und dann gibt es Aufnahmen von Fos jüngster Initiative, einem im Dezember 1999 organisierten Sonderzug, der alle Stationen des Terrors abfuhr. Dario Fo und seine Frau Franca Rame, die die eigentliche Mutter des Projektes war, hatten Kunststudenten aufgerufen, die Transparente für die Kundgebungen zu gestalten. An der Fahrt nahmen zahlreiche Familienangehörige von Opfern der Anschläge teil. Eindringlicher noch als die Dokumentaraufnahmen machen sie das Grauen greifbar. Manlio Milani aus Brescia etwa, der berichtet, wie wenige Meter von ihm entfernt seine Frau und seine zwei besten Freunde von der Bombe zerfetzt wurden.

Dazwischen führen Bilder von den Gewerkschaftsdemos und Kundgebungen der Linken die Zuschauer in die Atmosphäre der Siebzigerjahre, um die These des Films zu erhärten: Die von Faschisten gelegten Bomben waren staatlicher Terror, organisiert von der CIA in Zusammenarbeit mit italienischen Seilschaften, um eine Wende des Landes nach links unter Führung der Kommunistischen Partei Italiens zu verhindern.

Viel haben sich da Pfletschinger und Bredenbrock vorgenommen – zu viel. Franca Rame erzählt in Sekunden von dem ihr ganz persönlich widerfahrenen Staatsterror: Sie wurde 1973 auf Anweisung eines Carabinieri-Offiziers vergewaltigt. Die Interviews mit den Angehörigen der Opfer, die Doku-Szenen aus den Siebzigern oder die Bilder vom jungen adretten Fo auf der Theaterbühne – die beiden Autoren haben reichlich wertvolles Material zusammengetragen, das locker für 90 Minuten gereicht hätte, in den 45 Sendeminuten aber nicht recht entfaltet werden kann. Trotzdem: sehenswert.

MICHAEL BRAUN