Der Bürgermeister und die Huren

„Es wird weniger Vergewaltigungen und Krankheiten geben“, glauben die Leute. Nur der Priester klagt. Und nicht jede Prostituierte ist überzeugt

aus Piatra Neamţ KENO VERSECK

Die Typen in den Trainingsanzügen schaukeln ihre Bierbäuche. Sie gehören zum Inventar dieser mühsam aufgedonnerten Zwei-Sterne-Betonklötze. Um die vierzig, vorne Glatze, hinten lang. Kräftiges Brusthaar. Männerhandtäschchen aus Lederimitat. Etwas aufgequollen vom Herumlungern. Nur sie selbst wissen, womit sie ihr Geld verdienen.

„He, sagt mal, könnt ihr ’n Mädchen auftreiben?“ Sie sind erstaunt. Mustern den Fremden von oben bis unten. Einer mit Zopf und Räuberbärtchen lacht. „Geh mal in die Bar um die Ecke hinterm Hotel. Die da sitzen, hungern ab und machen’s für ’n Zehner. Viel Erfolg!“ Er lacht.

In die Bar um die Ecke hinterm Hotel verirrt sich kein Fremder. Ein Jüngelchen sitzt da, um die zwanzig. Mädchen? Nie gehört. Er wäscht die Autos der Hotelgäste. Mehr nicht. Nach einigen Minuten fragt er: „Was, wenn du ein Bulle bist?“ Schließlich: „Wie viel krieg ich?“

Die Autofahrt geht über eine Schotterstraße und endet in einer ärmlichen Vorstadtsiedlung. Claudia wohnt in einem halbfertigen Haus, das noch keine Fenster hat. Kein Zutritt für Klienten. Sie sieht aus wie dreiundzwanzig, ist aber erst achtzehn. Klein wie eine Fünftklässlerin. Ein Kreuz um den Hals ist das einzige, was an ihr auffällt. Sie könnte alles sein, als Prostituierte arbeitet sie seit vier Jahren. Einen Zehner nimmt sie, manchmal mehr. Vorauszahlung. Präservativ. Keine Perversionen. So sagt sie.

„Es hat damit angefangen, dass ich von zu Hause abgehauen bin. Ich hatte kein Geld, da haben mir einige Jungs gezeigt, wie ich diese Sache machen muss. Dann ging es so weiter. Klienten, Geld, Freiheit. Manchmal gefällt es mir, manchmal bedauere ich es.“ Sie spricht mit apathischer Stimme, blickt starr geradeaus. Niemals in die Augen des Klienten.

„Es gibt Lücken im Gesetz“

Sie hat von der Initiative des Bürgermeisters gehört, offizielle Bordelle einzurichten, mit Arbeitsbuch für die Frauen und Rentenanspruch. „Ja, ich würde da hingegen“, sagt Claudia. „Es ist hart jetzt. Ich hab keine eigene Wohnung. Ich gehe zu jemandem für eine Nacht, wasche meine Kleider, damit ich mich morgens anziehen kann, ich nehme ein Bad, esse was. Wir sind die dreckigen Nutten und Diebinnen. Das sagen die Leute. So ein Haus würde es etwas erleichtern.“

Piatra Neamţ, eine Stadt am Rande der Karpaten, in Nordostrumänien. 127.000 Einwohner, kommunistisch heruntersystematisiert mit Neubaublocks, aber mit tiefgrünen Bergen ringsumher. Eine Ausnahmestadt, weil die Straßen ohne Löcher und Dreck sind. Mit einer umweltfreundlichen Müllverbrennungsanlage, der einzigen in Rumänien. Gebaut von einer Firma aus Dänemark, mit EU-Geldern. Weil der Bürgermeister Ion Rotaru wusste, wie er einen Antrag stellen muss.

Nun will der Bürgermeister die gesetzlich verbotene Prostitution in seiner Stadt legalisieren lassen und hat damit Aufsehen im Land erregt. Amtliche Bordelle, „Häuser der Toleranz“, sollen gebaut werden, die angestellten Frauen „ökologische Dienstleisterinnen“ heißen. So würden illegale Prostitution und Geschlechtskrankheiten endlich aus der Stadt verschwinden, glaubt der Bürgermeister. „Es gibt Lücken im Gesetz. Wir schlängeln uns durch.“

Rotaru gefällt es, dass er eine Idee hatte. Der 49-Jährige hat sich vom Bergbauernsohn zum Druckereibesitzer hochgearbeitet. Redet geradeheraus, macht nicht viele Worte, packt an. Die Leute mögen ihn. Sie haben ihn letztes Jahr bei den Kommunalwahlen im ersten Durchgang wiedergewählt, was ihm im ganzen Land nur noch zwei Kollegen gleichtun konnten. Er genießt das, sichtlich, aber nicht allzu aufdringlich.

Die Ledersessel in der Wartehalle des Bürgermeisteramtes sind ein wenig abgeschabt, die Sprungfedern quietschen. Der Bürgermeister hat sich ein Büro gegönnt, in das der Besucher eintritt wie in ein anderes Gebäude. Aquarelltapeten, elegante Möbel. Durch Milchglasscheiben an der Decke fällt sanftes Licht in den Raum.

„Die Mädchen schließen einen Vertrag ab“, sagt Rotaru. „Sie werden ein Arbeitsbuch und einen Rentenanspruch haben, in den Häusern wird es Badezimmer geben, genügend Präservative, einen Arzt, der sie regelmäßig untersucht.“ Eine Firma des Bürgermeisteramtes soll die „Häuser der Toleranz“ betreiben. Vom Gewinn sollen ein Waisenheim, ein Frauenhaus und ein Obdachlosenasyl eingerichtet werden. Zwei „Toleranz-Häuser“ sind geplant, ab Jahresende. Ein Luxusbordell und eins für die benachteiligten Schichten. So stellt es sich der Bürgermeister vor.

Ja, die benachteiligten Schichten. Alle Politiker im Land führen sie im Munde. Der Bürgermeister aber tut etwas, sagen die Leute in der Stadt. Nicht der Luxuspuff, nein, das Bordell für die benachteiligten Schichten ist schon im Bau. Und zwar im „Viertel der Hoffnung“, weit draußen vor der Stadt. Hier lässt das Bürgermeisteramt Ställe einer ehemaligen Hühnerzuchtfarm zu Sozialwohnungen umbauen. In einem der Gebäude wird das „Toleranz-Haus“ für die Benachteiligten untergebracht.

Am Rand der Baustelle wohnen einige Roma-Familien. Sie sortieren gerade Taubnesseln, die sie an Apotheken verkaufen. Alle finden die Idee des Bürgermeisters vernünftig. „Bordelle sind gut für die Gesundheit des Mannes“, sagt eine ältere Frau halb ernst, halb ironisch. „Es wird weniger Vergewaltigungen geben, weniger Krankheiten.“

So sehen es die meisten Leute in der Stadt. Keine Huren mehr an den Straßenecken, weniger Kriminalität, geregelte Verhältnisse. Nur wenige sind gegen die „Toleranz-Häuser“, die der Bürgermeister durchs Gesetz schlängeln will. Einer von ihnen ist der Priester Chiţimuș in der 500 Jahre alten Kirche des heiligen Johannes. Was hält er von den „Häusern der Toleranz“? „Oh weh, oh weh!“, ruft Vater Chiţimuș aus und faltet die Hände überm Kopf. „Lassen Sie mir Zeit, mich zu sammeln.“ Die Tür zum Altarraum fällt ins Schloss.

An den Kirchenmauern klebt der Ruß der Kerzen für die Toten und die Lebenden. Da hängen Ikonen, das Bild eines rumänischen Kirchenfunktionärs und die Röntgenaufnahme des Jesus von Torino. Am Eingang liegt auf einem Tisch ein Stapel abgelaufener Lottozettel. Auf die Rückseite schreiben ältere Frauen ihre Wunschgebete, die der Priester verlesen soll. Sie legen sie zusammen mit einem Geldschein auf den Altar. Von Zeit zu Zeit wandelt der Priester vorbei und kassiert unter Bekreuzigungen Zettel und Geld ein.

„Wir sind gegen das Böse“

Nach einer Stunde gewährt Vater Chiţimuș dem Besucher Antwort: „Wir sind gegen niemanden. Wir sind nur gegen das Böse und gegen jene Häuser der Sünde“. Er schließt die Augen, versenkt sich in sich selbst. Dann predigt es aus ihm. Über die christliche Berufung der Frau, das Mysterium der Liebe und die göttliche Mathematik. Und siehe da, plötzlich schwebt Vater Chiţimuș, entschwebt in den Altarraum.

Alina schämt sich, eine Kirche zu betreten. Vor sich selbst. Sie glaubt fest an Gott, aber sie ist eben eine Hure. Als sündige Hure kniet sie draußen an der Kirchenmauer nieder und schnappt die Wortfetzen des Priesters auf. So sagt sie.

Sie hatte an diesem Tag fünf Klienten. Schluss für heute. Sie sitzt an ihrem Platz vor einem Kiosk im Stadtzentrum. Zwei illegale Geldwechsler stehen da auch immer. Die achten sie, ja. Seit sie auf eine Einladung zum Bier gesagt hat, sie trinkt nicht im Dienst. Und weil sie bisher alle Zuhälter hat abblitzen lassen. Auch die, die ihr gesagt haben, sie machen sie fertig.

Im Dienst heißt sie Alina. Sie hat eine schöne Altstimme, manchmal fröhlich, manchmal kess. Sie ist einundzwanzig. Gelernte Bäckerin, seit einem Jahr Prostituierte, Schicht von vier Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends. Sie macht es nur mit älteren, am besten verheirateten Männern, die haben Frauen, Kinder, Haus. Haben Verpflichtungen und sind nicht gefährlich.

In ein „Toleranz-Haus“ würde sie um keinen Preis gehen. Sie hat Angst, verkauft zu werden, als ein Stück lebendes Menschenfleisch. Sie hasst Zuhälter. Von Kolleginnen hat sie Geschichten über verkaufte, geschlagene, zu Tode geprügelte Mädchen gehört. Polizisten sind besser, sagt Alina. Die schauen ab und zu vorbei. Sagen nichts von wegen verboten. Machen es manchmal mit ihr. Bezahlen. Und lassen sie in Ruhe.

Alina ist da so reingerutscht. Sie weiß genau, wie. „Die Beziehung zu meinem Freund lief nicht mehr richtig“, erzählt sie. „Auf der Arbeit hat mich niemand beachtet, aber alle haben mich angegafft. Dann hab ich gesagt, na gut, ich mach die Beine breit, wenn ihr bezahlt. So war das. Tja, ich hab viel gesehen. Die niedrigsten und die reichsten Typen. Vorher wusste ich nicht mal, was das ist, jemandem einen runterholen.“

Ihre Eltern wissen nicht, womit sie Geld verdient. Nicht ihr Freund, mit dem es nicht mehr läuft, weil er so viel für seine Arbeit unterwegs ist. Ihre Mutter freut sich, dass sie regelmäßig zum Frauenarzt geht. Keiner ihrer Klienten wird je ihren wirklichen Namen erfahren. Sagt sie. Nein, niemand wollte in ihr wahres Gesicht schauen. Und jetzt will sie nicht mehr, dass jemand ihr in die Seele blickt.

„Mein Lebenstraum?“ Sie lacht. „Hab ich nicht mehr. Mir hätte es gefallen, Guerillakämpferin zu werden. Aber ich hab mich beruhigt und bin weiblich geworden. Ich hab einen Wunsch. Dass die Beziehung mit meinem Freund weitergeht. Dass wir uns verheiraten, Kinder machen, dass alles normal wird. Aber ich glaub nicht dran. Eines Tages werde ich abhauen. Weit weg.“