Märkte mit offenen Grenzen

Zwölf Ökomärkte versorgen mittlerweile die Berliner mit Lebensmitteln aus kontrolliertem Anbau. Die Grenzen zu herkömmlichen Straßenmärkten sind fließend. Wo Besserverdiener wegziehen, schwindet der Umsatz deutlich

von CHRISTINE BERGER

Der Duft gegrillter Bratwurst hängt in der Luft, Eltern schieben ihre Sprösslinge von einem Stand zum anderen und verstauen frischen Salat und Bio-Gouda im Kinderwagen. Zwei Barden sorgen mit alten Volksweisen für Unterhaltung. Mit ihren Ballonmützen und den Pluderhosen scheinen sie mit einer Zeitmaschine in das 21. Jahrhundert katapultiert worden zu sein. Oder vielleicht auch nicht, denn auf dem Ökomarkt am Kollwitzplatz ticken die Uhren anders. Hier haben Händler und Kunden Zeit füreinander. Die Ware wird sorgfältig ausgewählt, die Herkunft transparent gemacht – Markttreiben wie zu alten Zeiten.

Qualität und Vielfalt des Angebots sind für immer mehr Berliner Gründe, einen Ökomarkt zu besuchen. Seit 1984 der erste Markt auf dem Gelände der Domäne Dahlem in Zehlendorf eröffnete, ist die Nachfrage nach frischem Ökogemüse und -obst kontinuierlich gestiegen. Seit der Wende bestreiten vor allem Ökobauern aus dem Umland das Angebot.

Besonders gut läuft das Geschäft mit den Lebensmitteln aus kontrolliertem Anbau in Bezirken mit vielen jungen Akademikerfamilien. In Kreuzberg etwa gibt es gleich zwei Ökomärkte. Am Chamissoplatz und am Lausitzer Platz trifft Freitagnachmittags und Samstagmorgens ein buntes Völkchen zusammen. Nicht nur Möhren und Äpfel wandern in die Einkaufskörbe, sondern auch Schmuckhändler und Stände mit Ökokleidung machen gute Geschäfte. Mit Pflanzenfarben gefärbte Wolle, indische Saris und sogar Töpfe ergänzen das Angebot.

Margot Lütje hat mit ihren Haushaltswaren eine Marktlücke entdeckt. „Auf dem Ökomarkt achten Kunden auf Qualität, und sie wollen Vielfalt“, erklärt sie. Viele würden Pfannen, Töpfe und Besteck im Vorübergehen kaufen, weil die Hemmschwelle niedriger sei, sich in Ruhe beraten zu lassen. Zwar untersteht die Herstellung von Töpfen nicht der Kontrolle eines Ökolabels, doch Lütje achtet auf umweltfreundliche Herstellung und langlebige Materialien. Für Lütje, die früher auch einmal ein eigenes Geschäft besaß, sind auch die späten Öffnungszeiten ein Grund, ihre Ware auf Ökomärkten anzubieten: „Morgens um acht kauft keiner einen Topf.“

Allein drei Märkte bieten den Einkauf am Nachmittag an. Auf dem Leopoldplatz im Altbezirk Wedding haben dienstags auch Berufstätige bis 18 Uhr die Gelegenheit, sich mit Demeter-Wurst oder Bioland-Salat einzudecken. 15 Händler warten auf Kundschaft, das Geschäft geht jedoch schleppend. Für Marktbetreiber Christoph Ebeling ist der starke Wegzug von Besserverdienenden aus dem Altbezirk dafür verantwortlich. „Es gab Zeiten mit 30 Händlern“, erklärt er.

Weil sich der Markt halbiert hat, verkaufen jetzt auch konventionelle Händler auf dem Platz. „Hier beginnt der Ökomarkt“, erklärt ein Schild. Doch die Grenzen sind fließend. So verkauft der Marktwagen vom Franziskushof Fleisch von glücklichen Schweinen und Kühen, ein Kontrollzertifikat sucht der Kunde jedoch vergeblich. „Wir haben keine Massentierhaltung, die Tiere kriegen Speisereste und stehen auf Stroh“, versichert Verkäufer Eberhard Duschke. Auch ein Vertreiber von Schaffellen und Fruchtsaft steht außerhalb des Ökomarktes. „Das vermischt sich doch immer mehr“, so der Händler, der seinen Namen nicht erwähnt wissen will. Dass der türkische Händler nebenan Biobananen im Angebot hat, scheint der Beweis dafür zu sein. Doch die Gewissheit, dass auch wirklich kontrollierte Ware verkauft wird, gibt es nur auf dem Ökomarkt. Ebeling und andere Marktbetreiber achten streng darauf, dass nur zertifizierte Betriebe von Demeter, Bioland oder der Gäa, dem ostdeutschen ökologischen Anbauverband, verkaufen.

Die Kunden zahlen für diese Sicherheit gerne einen höheren Preis, auch wenn sich mancher das Geld nur schwer abknapsen kann. „Ich verzichte lieber auf andere Dinge wie andauernd neue Klamotten oder Möbel“, so die allein erziehende Barbara Lenz, die mit ihrem zweijährigen Sohn derzeit von der Sozialhilfe leben muss. Mit dem Kind im schaffellgepolsterten Kinderwagen und dem selbstgestrickten Pullover ist sie die typischen Ökomarktkundin auf dem Leopoldplatz. Doch auch ältere Menschen und besser verdienende Singles kaufen ein. So bestellt ein Geschäftsmann im Anzug am Demeterstand ein Steak. Die rund zehn Mark, die er dafür bezahlt, sieht er gut angelegt. „Lieber ab und zu was Gutes als dauernd Supermarktfraß“, sagt er und zieht von dannen.

Nicht zuletzt die Tierseuchen der letzten Zeit haben den Anbietern von Ökolebensmitteln Aufwind beschert. Vor allem aber haben sich die Ökomärkte dem anspruchsvollen Breitenpublikum geöffnet. Die Käsestände der Firma Milchweg mit 80 bis 100 Käsesorten überzeugen auch Käufer fern von Körner- und Müsliambitionen. Dass der passende Wein auch gleich verkauft wird und außerdem regelmäßig Verkostungen stattfinden, passt zur gestiegenen Servicebereitschaft der Markthändler. So wird man längst nicht mehr böse angeschaut, wenn man nach einer Plastiktüte fragt, und selbst Bratwurst vom Imbiss ist nicht mehr verpönt. Der Synanon-Stand am Rande des Kollwitz-Marktes macht an Samstagen gute Geschäfte. 3,50 Mark kostet eine Ökowurst. Wenn der Stand um 16 Uhr am Nachmittag schließt, sind rund dreihundert Würste in den Mägen der Marktbesucher verschwunden.