Zweite Kursk-Katastrophe droht

Kurzfristig beauftragt Moskau holländische Firma mit Bergung des gesunkenen Atom-U-Boots. Diese will schneller und billiger arbeiten als andere Anbieter. Experten befürchten jedoch Schaden an den Reaktoren und Austritt von Radioaktivität

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Die Entscheidung der russischen Regierung, das gesunkene Atom-U-Boot Kursk von der niederländischen Firma Mammoet spätestens bis Ende September heben zu lassen, ist in Kreisen skandinavischer Bergungsexperten auf heftige Kritik gestoßen. Moskau hatte sich nach halbjährigen Verhandlungen und nur zwei Tage vor dem angekündigten Unterschriftsdatum überraschend gegen die Bergung des Wracks durch ein norwegisch-niederländisch-amerikanisches Konsortium entschieden. Vielmehr erhielt Mammoet den Zuschlag, da die Firma bereit ist, die Kursk für 20 Millionen Mark weniger zu heben. Zudem will Mammoet noch diesen Sommer mit der Arbeit beginnen, während das Konsortium eine Vorbereitungszeit bis Juni nächsten Jahres für erforderlich hielt. Mit Mammoet könnte Präsident Putin sein Versprechen, die Kursk werde in diesem Jahr gehoben, einhalten.

Jetzt bleiben nur gut drei Monate, um die Bergung vorzubereiten und durchzuführen, bevor die Herbststürme im Nordmeer einsetzen. Ein Zeitplan, der laut Kritiker nicht nur das Rettungspersonal, sondern durch eventuell austretende Radioaktivität auch das Nordmeer gefährdet.

In der Zeit vom 10. bis 20. September soll zunächst der vordere vom rückwärtigen Teil des Wracks und den dort befindlichen Atomreaktoren abgetrennt und an Land gebracht werden. Die kleinere Bugsektion, in der vermutlich die Ursache der Kursk-Katastrophe zu finden sein wird, könnte die russische Flotte dann mit eigenem Bergungsgerät und ohne westliche Augenzeugen zu einem späteren Zeitpunkt heben.

Auch wenn ein getrenntes Wrack die zu hebende Last mindert, gilt die Bergungsmethode als unsicher. Die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona fordert zwar prinzipiell eine Hebung des Wracks, meint aber, dass es derzeit keine sichere Methode dafür gebe. „Auch wenn wir sie da unten gar nicht haben wollen, empfehlen wir, die Kursk liegen zu lassen, bis es technisch fortgeschrittenere Bergungsmethoden gibt“, sagt Bellona-Sprecher Thomas Nielsen. Der dänische Atomphysiker Povl L. Olgaard warnt: „Sicher wird Radioaktivität aus dem Wrack austreten, aber die wird sich im Meer relativ ungefährlich verdünnen. Eine Hebung birgt die Gefahr, dass das Wrack zerbricht, was viel gefährlicher wäre, weil wir nicht wissen, in welchem Zustand die Reaktoren sind und was dann mit diesen passiert.“

Weder Mammoet noch die russische Flotte haben bislang Erfahrung mit der Hebung eines 20.000 Tonnen schweren Wracks, schon gar nicht mit einem Atom-U-Boot. Und die USA sind vor Jahren mit der Bergung eines kleineren U-Boots, allerdings aus größerer Tiefe, gescheitert.