„Berlin krankt an der Obertonreihe“

Kampf gegen das Einheitsgelb: Die Maler- und Lackiererinnung prämiert die Gesichter der Wohnhäuser

Berlin wohnt gelb. Besonders beliebt ist Zitronengelb. Fassaden ganzer Straßenzüge variieren da lediglich in der Mischung: Zitronengelb mal mit etwas mehr, mal mit etwas weniger Weiß. Mit dem Wettbewerb „Wir bringen Farbe in die Stadt“ will die Maler-und Lackiererinnung angesichts dieser Eintönigkeit Abhilfe schaffen. Gestern wurden die schönsten Häuser auserwählt.

Das grenzt an Psychologie, Fassaden sind nämlich nicht nur bloße Häuserwände, sondern die „Gesichter der Wohnhäuser“, sagt Klaus Palm, Professor für Farbenlehre an der Hochschule der Künste und Jurymitglied. Auch der Eingangsbereich ist ein sensibles Detail, gilt er doch als Visitenkarte. Sprich: Das Thema ist heikel. Falsche Farben können Psychosen hervorrufen. Bisweilen klagen sogar Bewohner gegen zu bunte Häuser in der Nachbarschaft – und das mit Erfolg.

Die Jury prüfte die Hauswände daher unter klaren Gesichtspunkten. Passt die Farbe zur Funktion des Hauses und in das Umfeld, entspricht sie den ästhetischen Bedürfnissen des Kulturkreises. „Wir leben ja nicht in China“, bemerkte Palm. Dann erst komme die Malerei: Fassaden müssen Kontraste bieten, damit die Augen herumkrabbeln können: hell-dunkel, bunt-unbunt. Sie müssen von unten nach oben konzipiert sein: unten dunkler als oben. „Damit das Haus steht und nicht schwimmt.“

„Berlin krankt an der Obertonreihe“, klagt Palm. „Farben müssen mit Kontrastfarben gemischt werden, damit sie wärmer wirken.“ In Skandinavien sei man viel bunter, meint Palm. Fehlende Farbe habe womöglich etwas mit der deutschen Geschichte zu tun.

Wirtschaftsstaatssekretär Volker Liepelt (CDU) hingegen hat weniger Probleme mit fehlender Buntheit, sondern mit der Schwarzarbeit an Hauswänden. So konnte sich jeder bei der Verleihungszeremonie positionieren. Die vier ersten Gewinner erhielten je 3.000 Mark: Eine Villa in Wannsee betörte die Jury durch ihre Mischung aus Weiß, strukturbetonenden Glasuren und einem warmen Ockerton. Das Haus Simon-Dach-/Ecke Krossener Straße erfreute mit nachgemalten Ornamenten und das Hochhaus in der Waldassener Straße wurde als „Fackel der Buntheit“ gehandelt. So profitiert auch die Poesie von mehr Farbe in der Stadt. KATJA BIGALKE