Kein Sieg ohne Tschechen

Der VfB Zittau profitiert von der Lage im Dreiländereck. Sieben Spieler und der Trainer kommen aus dem Nachbarland

aus Zittau und Dresden NICK REIMER

Im Mittelkreis des Dresdner Dynamo-Stadions kniet ein Trainer. Versunken streicht Tomáš Nosek über die Grasnarbe. Einst sah er den FC Liverpool hier spielen. Juventus Turin und Benfica Lissabon haben hier schon verloren. Heute spielt seine Mannschaft. Der VfB Zittau.

Während westdeutsche Gernegroße und ostdeutsche Möchtegerne den einstigen sächsischen Renommierklub Dynamo Dresden von der Bundesliga bis hinab in die Oberliga Süd gewirtschaftet haben, verhalf dem VfB Zittau das „tschechische Wunder“ zum Aufstieg. Sieben Tschechen und ein Slowake stehen in der Anfangsformation. „Wir spielen auf Sieg“, sagt Nosek. Was anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Denn im Zittauer Weinaustadion spielt man trotz der Hilfe aus dem nahen Ausland eben meist gegen den Abstieg.

Das Weinaustadion liegt mitten im Dreiländereck – 500 Meter von der polnischen, anderthalb Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. In einer Holzbaracke aus DDR-Spannholz, dem Vereinslokal, brüht VfB-Geschäftsführer Peter Latuszek Kaffee für die Vorstandssitzung. „Besonders groß wird die Runde ja nicht“, kündigt er an. Mit seinen 250 Mitgliedern ist der VfB ein kleiner Oberliga-Verein. Früher hat Latuszek den Geschäftsführerposten ehrenamtlich gemacht. „Immer bloß zu Hause rumsitzen ist nicht mein Ding“, sagt er. Von Beruf ist Latuszek Schlosser. 30 Jahre war der 57-Jährige in der volkseigenen Oberlausitzer Textilindustrie – der Lautex – für die Produktionsstabilität zuständig. „Ständig musste ich mir einen Kopf machen, woher ich Ersatzteile bekomme.“ Einst arbeiteten 11.000 Menschen bei der Lautex. Heute sind es nicht einmal mehr 500.

Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit in Zittau bei 25 Prozent. „Inoffiziell ist hier aber gut und gerne jeder dritte ohne Job“, sagt der für Sport zuständige Bürgermeister Jürgen Löffler. „Industrie gibt es hier praktisch keine mehr.“ Was sich dann auch im Haushalt des VfB widerspiegelt. Während andere Oberliga-Vereine wie Dynamo Dresden oder der 1. FC Magdeburg über fast siebenstellige Summen verfügen können, ist man beim VfB froh, wenn der Etat überhaupt sechsstellig wird. Die Kreissparkasse ist der Hauptsponsor. Den Rest steuern örtliche Friseure oder Handwerker bei.

Die 18. Minute im Dresdner Stadion. VfB-Läufer Milan Pitar schickt Rene Šimek, der passt auf Petr Jirasko. Jirasko fasst sich ein Herz, zieht ab. Der VfB führt 1:0.

„Unser Plus sind die Tschechen“, sagt Latuszek. Man habe aus der Randlage einfach einen Vorteil gemacht. Nein, sonderlich viel bezahlt werde den Spielern nicht. „Vielleicht ein Zehntel von dem, was die Dresdner verdienen.“ Aufwandsentschädigung nennen sie das in Zittau, und die liegt bei wenigen hundert bis etwas über tausend Mark. Aber das sei für die Tschechen immer noch attraktiv. Rene Šimek zum Beispiel hat in der ersten tschechischen Liga bei Teplice gespielt. „Nach Zittau fahre ich genauso lange wie nach Teplice“, sagt der Mittelfeldspieler. Der Unterschied ist: In Zittau bekommt er dreimal so viel.

Viele sächsische Vereine haben sich dieses Gehaltsgefüge zu den Nachbarn zu Nutze gemacht. Doch jetzt hat das Dresdner Innenministerium einen Riegel vorgeschoben. Neue Spieler aus Nicht-EU-Staaten sollen ab der kommenden Saison keine Spielgenehmigung mehr erhalten. Damit, so die Hoffnung der Ministeriellen, werde der eigene Nachwuchs endlich mehr gefördert.

„Nachwuchs? Dass ich nicht lache“, schimpft VfB-Schatzmeister Wolfgang Märkisch. Der Getränkehändler rechnet vor: Von zehn Jugendlichen bekäme in der Region Zittau maximal einer eine Lehrstelle. Ganze Jugendmannschaften gingen nach Bayern oder Hessen. Und selbst die Spieler, die hier in die Lehre gehen, verabschieden sich in der Regel danach. Für die sechsfuffzig netto, die ein Zittauer Bauarbeiter bekommt, würde schon der Dresdner Kollege keinen Finger mehr krumm machen. „Das Problem ist: Es gehen die guten, die wendigen. Und die nehmen ihre oft sehr talentierten Kinder mit.“ Zwar wurden in den letzten zehn Jahren einige tausend Menschen nach Zittau eingemeindet. Die Einwohnerzahl sank aber dennoch um knapp die Hälfte auf 35.000. Bürgermeister Löffler kann sich schnell in Rage reden. „Wir haben in Zittau das internationale Hochschulinstitut, das Deutsche, Tschechen und Polen gleichermaßen ausbildet. Wir haben ein Grenzlandfest, das immer im Wechsel in Polen, Tschechien oder hier bei uns stattfindet. Wir haben hiesige Unternehmen, die rübergehen, und Zweigstellen von dortigen Unternehmen hier. Wir sind schon osterweitert. Nur Fußball dürfen wir nicht mehr zusammen spielen.“ Die ostdeutsche Politik denkt westeuropäisch, meint der Bürgermeister. Und das ist nicht gut für die EU-Osterweiterung. „Beim FC Saarbrücken dürfen doch auch haufenweise Nachbarn mitspielen.“

Auch der Schatzmeister hält Sport für das beste Integrationsprogramm: „Damit kann man Kinder wie Inder integrieren“, meint er süffisant. „In Zittau leben wir die Osterweiterung heute schon.“ Zumindest hier im Verein, bremst Latuszek. Natürlich wüssten die Zuschauer die Leistung der tschechischen Spieler zu schätzen. „Das hat auch Auswirkung auf den Umgang mit unseren ausländischen Nachbarn.“ Selbst eher rechte Jugendliche seien stolz auf die tschechischen VfB-Leistungen.

„Es war nicht einfach, zwei Nationalitäten zusammenzuschweißen“, sagt Trainer Tomáš Nosek – selbst Tscheche. Zuerst mal mussten seine Landsleute Deutsch lernen, „denn natürlich wird bei mir Deutsch auf dem Rasen gesprochen.“ Dann galt es die unterschiedlichen Fußballschulen zusammenzuführen. „Der deutsche Fußball ist viel kämpferischer, athletischer, der tschechische dafür technisch versierter und in der Anlage intelligenter.“ Der 34-jährige Nosek wechselt sich, wenn er es für nötig hält, schon mal selbst ein: „Mein Fußballherz schlägt zittauisch.“

Nach Zittau umziehen will der Familienvater, der im 25 km entfernten Liberec lebt, aber nicht. „Lebensmittel, Wohnung, Heizung – das ist bei uns viel billiger.“ Und das wird auch nach dem EU-Beitritt so bleiben. „Das Ost-West-Gefälle zwischen Liberec und Zittau wird nicht automatisch kleiner.“

Im Dresdner Dynamo-Stadion merkt man den Zittauern jetzt an, dass sie nur viermal die Woche trainieren – zwei Stunden lang nach Feierabend. Immer deutlicher wird die konditionelle Überlegenheit der Vollprofis von der Elbe. Hoch kommt der Ball in der 80. Minute von rechts in den Strafraum – am höchsten steigt ein Dynamo. Dresden führt 2:1.

Warum spielen eigentlich keine Polen in der Dreiländereck-Mannschaft? „Das war ein Wunsch des Trainers“, sagt Latuszek. „Die passen nicht zu uns“, sagt Nosek. Am deutlichsten wird der Schatzmeister: „Tschechen und Polen mögen sich nicht besonders.“ Doch, als Nosek die Mannschaft vor drei Jahren übernahm, da gab es polnische Spieler beim VfB. Nosek bemängelte allerdings ihre Zuverlässigkeit. „Manchmal“, sagt der Geschäftsführer, „fehlten die sogar beim Training.“

Genau genommen hat Zittau keine andere Chance, als sich immer weiter nach Polen und Tschechien zu öffnen, sagt der Bürgermeister. „Für uns bedeutet das, an ein traditionelles Hinterland Anschluss zu finden.“ Schon heute funktioniere die Nachbarschaft ganz gut. „Wir tanken bei den Polen, gehen bei den Tschechen zum Frisör und die kommen hierher, um Fernseher zu kaufen.“ Für Löffler hat die Osterweiterung nur Vorteile: „Der zeitaufwendige Grenzverkehr, Handels-, Zoll- oder Reiseschranken fallen weg, es kommt endlich zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum.“

Keine Angst vor polnischen oder tschechischen Arbeitern, die den Zittauer Arbeitsmarkt überfluten? „Was denn für einen Arbeitsmarkt“, fragt der Bürgermeister. „Wer tatsächlich in Deutschland arbeiten will, der macht das schon lange.“ Der Schatzmeister kann verstehen, dass Menschen aus Bochum, Berlin oder Bamberg Unbehagen wegen der EU-Ausdehnung haben. Aber hier im Osten? „Wie gesagt: Ein bisschen leben wir das ja hier schon. Schlimmer als jetzt kann es jedenfalls nicht werden.“

Karel Vokal schlägt einen Haken, passt dann in die Mitte zu Jiří Jesetra, der zum Schuss bereit steht. Da pfeift der Schiedsrichter. Die Dresdner jubeln. Mit diesem Sieg bleibt Dynamo in der Oberliga. Die deutsch-tschechischen Amateure aber müssen noch bis zum letzten Spieltag warten: Mit einem 5:2 in Cottbus sichert sich der VfB den Klassenerhalt.