Im Herrenreich der Lichtgestalten

Auf einer höheren Warte treffen sie sich alle wieder: Krischna, Buddha, Jesus, Rudolf Steiner und Franz Beckenbauer

„Gott muss ein Bayer sein“, titelten die Münchner Boulevardblätter Abendzeitung und tz und zitierten damit den Schalker Manager Rudi Assauer, der es, wie ganz Fußballdeutschland, nicht fassen konnte, dass die Herren von der Säbenerstraße schon wieder . . . – nä, dat hat mit Dusel nix mehr zu tun, so viel Schwein kann man nomal nich haben.

War tatsächlich metaphysische Wirkkraft im Spiel? Göttliche Fügung? Vorsehung? Karma? Oder war’s einfach der unpetinkte Siegeswille, den Ottmar Hitzfeld eine Saison lang beschworen hatte, der das Glück erzwang? Oder der gerechte Ausgleich zum Barcelona-Finale 1999?

Ja gut, möchte man antworten, wenn Gott den Menschen, also auch den kickenden, nach seinem Ebenbilde schuf, müsste er, simple Dialektik, selbst ja ständig hinter dem Ball herrennen. Und wenn, nach Hegel, er sich immer nur selbst will, dies selbstverständlich da, wo seinereiner zugange ist. Also in München. Nur da gibt es eine „Lichtgestalt“, die, göttergleich, über den Wassern schwebt, versehen mit zwei eigenen Gazetten, die jeden Darmwind des Olympiers herniedertragen zum begeisterten Volke: Franz Beckenbauer.

Was das eigentlich sein soll, eine „Lichtgestalt“, weiß so recht niemand. Bei einer Umfrage der Fußballwerbeshow „ran“ meinte selbst Abiturient Mehmet Scholl, den Begriff gebe es wohl gar nicht. Und ein eigens befragter Monsignore der katholischen Kirche konnte auch nur was von Engeln und Geistwesen aus dem Alten Testament daherfaseln.

Alles falsch. Lichtgestalten gibt’s. Zumindest in der Lehre der Theosophie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Höchstblüte hatte und derzeit eine ungeahnte Wiedergeburt feiert. Lichtgestalten sind ins Nirwana aufgestiegene Meister wie Krischna, Buddha oder Jesus, die von höherer Warte aus die Menschheit in ein „Goldenes Zeitalter“ führen wollen.

Von solch „Neuem Zeitalter“ delirierten auch die Nationalsozialisten, in dem die arische „Lichtrasse“ die Weltherrschaft ausüben sollte. Im Wege standen diesem Ziel die „Dunkelrassen“ – Semiten, Slawen, Zigeuner –, die es zu beseitigen galt. Lichtgestalt des „Tausendjährigen Reiches“, ausgehend von München, sollte Hitler sein.

Die heutigen Vertreter des „New Age“ führen den Irrwitz der Theosophen ungebrochen fort. Die Welt teilen sie ein in „höhere Seelen“, die der Annehmlichkeiten einer kapitalistischen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft teilhaftig werden dürfen, und in „niedere Seelen“, die konsequenterweise in Slums und Elendsvierteln hausen. Jeder Mensch werde entsprechend seiner guten oder schlechten Taten im nächsten Leben als „höhere“ oder „niedere“ Seele wiedergeboren. Auch der Holocaust des Dritten Reiches wird auf diese Weise erklärt und gerechtfertigt: Die Juden hatten lediglich schlechtes Karma abzutragen.

Theosophischer Karma- und Rassenwahn hat Hochkonjunktur heutzutage. Nicht nur in Anthroposophenkreisen kursiert die Auffassung Rudolf Steiners, wonach ein Mensch, der in einem Leben schlechte Neigungen und Eigenschaften entwickelt hat, im nächsten Leben mit einem ungesunden Körper wiedergeboren wird. So musste der britische Fußballnationaltrainer Glenn Hoddle 1999 seinen Hut nehmen, nachdem er in einem Times-Interview erklärt hatte, Behinderte hätten ihre Gebrechen selbst zu verantworten: Sie hätten sich in früheren Leben irgendwelcher Vergehen schuldig gemacht, die sie nun abbüßten.

Wahrscheinlich hat einst irgendein hirnloser Bild-Journalist Beckenbauer den Titel „Lichtgestalt“ angeklebt. Und hat dabei in den Fundus faschistoider Theosophensprache gegriffen. Kein Wunder, dass man da auch in den Niederungen der Esoterik auf ihn aufmerksam wurde: Die Wahrsagerin Leela Weitz etwa führt ihn seit je als Blickfang auf ihren Werbebroschüren. Tatsächlich fühlt sich Beckenbauer theosophischem Gedankengut verpflichtet. Er glaubt, wie Hoddle, an Karma und Wiedergeburt. In einer seiner Autobiografien schwadroniert er daher, es werde allemal „das Elend des einen Lebens durch das Glück eines vorangegangenen oder kommenden aufgewogen“. Hoffnung für Schalke? COLIN GOLDNER