Ineffiziente Orchidee

An der Universität Postdam steht das Orchideenfach Bohemistik auf der Kippe. Die Uni lobt das Fach inhaltlich, findet aber, dass es ihr zu wenig Studenten für die Statistik bringt

BERLIN taz ■ Es gibt tschechische Autoren, deren Namen man hierzulande kaum buchstabieren kann. Das liegt auch daran, dass Deutschland ein Land ist, in dem auf dem Gymnasium Literatur selbstverständlich deutsche Literatur ist – abgesehen von den Werken der großen Sprachen wie Englisch oder Französisch. Für kleine Sprachen aber besteht kein Lehrerbedarf, also existieren die dazugehörigen Literaturen auch da, wo Lehrer ausgebildet werden, nur als so genannte Orchideenfächer: an den Universitäten. Und Orchideen werden gerne gepflückt. Das droht jetzt der Bohemistik, dem Fach Tschechische Literatur und Sprache, in Potsdam. Die Uni will das Fach abwickeln. Warum? „Weil es uns die Statistik kaputtmacht“, sagt man den Bohemisten an der Universität Potsdam.

Was den Bohemisten mit hoher Wahrscheinlichkeit geschieht, ist vielleicht ein Muster für die Zukunft der Orchideen an den Universitäten. Unis sollen, so die Bewegung quer durch alle Bundesländer, stärker nach ökonomischen Kritierien geführt werden. Wie aber misst man die Effizienz eines kleinen Faches wie der Bohemistik? Wenn das Verhältnis Hochschullehrer/Studenten nach der Daumenregel der Finanzminister entschieden wird, sind wenige Studenten ein Nachweis der Überflüssigkeit des Faches. So wie in Potsdam.

Die Bohemistik war in der 1993 gegründeten Universität mit vielen feierlichen Kommentaren über die künftige Mittel- und Osteuropakompetenz eingerichtet worden. Es kamen zwei Lehrstühle zusammen, die sich mit der tschechischen Linguistik (Peter Kosta) und der tschechischen Literatur (Hertha Schmid) beschäftigen. Die Kombination wird außerhalb der Uni Potsdam für einmalig gehalten und auch im Ausland positiv reflektiert.

Nun sind die gemeldeten Studentenzahlen aber gegenwärtig etwas niedriger, als der Finanzminister und der Wissenschaftsrat gerne sehen würden. Also soll es, so die neuesten Informationen aus der Universität, zur Einstellung des Studiengangs Bohemistik kommen. Es ist nicht so, dass die Stelleninhaber abgeschafft werden sollen – das ist wegen der Unkündbarkeit gar nicht möglich. Es soll vielmehr die Statistik des Fachbereichs Slawistik aufgebessert werden. Bei 19 Studenten der Bohemistik weist man in Potsdam 65 Polonisten und 155 Russisten auf. Die Bohemistik ist, so einfach funktionieren ökonomische Kriterien, nicht effizient genug.

Der deutsch-tschechische Freundschaftsvertrag erwähnt die Unterstützung des Ausbaus von Bohemistik an deutschen Universitäten. Indes wird nicht auf-, sondern abgebaut – ohne dass sich irgendjemand verantwortlich fühlte. Die Bundesländer etwa können sagen, sie seien bei der Abfassung des Vertrags nicht dabei gewesen. Die Uni schaut auf die Statistik. Und die Vertragsschließenden sind für die Uni Potsdam nicht zuständig.

Dabei gibt es gute Gründe für das Fach. Immer öfter werden Fachleute mit Sprachkenntnissen der kleineren Sprachen gesucht – und nur zu selten gefunden. Unternehmer kehren nach Versuchen um Investitionen in Tschechien zu oft enttäuscht zurück, weil sie die Sprachbarriere nicht überspringen können. Anwaltskanzleien geht es ähnlich.

Im achten Jahr der Existenz der Universität ist der Aufbau der Bohemistik inhaltlich fast abgeschlossen. Einige international beachtete Symposien wurden unter der Beteiligung der Potsdamer Bohemisten realisiert. Das Fach zieht die ersten Studenten aus Tschechien an.

Formell ist aber wohl bald Schluss. Das Rektorat möchte noch im Juni die Schließung des Magisterstudiengangs Bohemistik vorschlagen. Die Uni-Leitung bezieht sich dabei auf kritische Urteile des Wissenschaftsrats über die Auslastung der Universität. Dass der Wissenschaftsrat die Angebotspalette der Potsdamer Slawisten bei Gründung der Uni gesehen und für gut befunden hat, spielt heute keine Rolle mehr. JAROSLAV ŠONKA