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Das Schnäppchen ist überall

Früher gab’s das: Konsum, der gleichzeitig Widerstand war. Auf den Flohmärkten. Heute ist es dort nur noch billig

„Jeden Samstag und Sonntag muss er raus. Schon um sechs Uhr, gleich mit der ersten S-Bahn. Und ich halt immer mit, und das an meinen freien Tagen.“ Die Frau, Ende vierzig, im Bus nach Kreuzberg, wird von ihrer Kollegin spöttisch belächelt: „Nee, dass du das mitmachst, nee, also meine freien Tage, die sind mir heilig, aber echt!“

Hier geht es nicht um blasenkranke Bernhardiner. Der Mann, für den die Frau jedes Wochenende frühmorgens das Haus verlässt, hat ein Hobby, mit dem sich viele die freie Zeit totschlagen. Realschullehrer tun es ebenso wie angehende Juristen, Pfarrerstöchter sind, kaum dass der Morgen graut, schon am Start und Webdesigner auch. Nicht nur in Berlin, da aber am liebsten, zumal als Tourist, zumal in Gruppen. Alle wollen zum Flohmarkt: „Erst fahren wir in den Osten, da guckt er, was es an Telefonkarten gibt, und danach rüber in ’n Tiergarten, Lampen für die Gartenterrasse suchen.“ Drei Bushaltestellen später sind sich die beiden Kolleginnen einig. Am Wochenende werden sie zu dritt ausschwärmen.

Die Berliner Flohmärkte waren immer ein prima Treffpunkt. Auf dem Türkenmarkt (später Polenmarkt) am Reichspietschufer, dort, wo DaimlerChrysler und Sony die neue Mitte gebaut haben, konnte man früher durch Berge aus Jeans und Hemden staksen, in Kartons nach abgewetzten Büchern wühlen oder bei einem fliegenden Plattenhändler rare Bootlegs von Iggy Pop oder irgendwelche Disco-Singles kaufen. Meistens war man danach so eingestaubt wie Clint Eastwood in einem Italo-Western, und die Schuhe sahen aus, als hätte man sich im Schlamm der Großstadt gesuhlt. Das war okay, das war cool, das waren die Zeichen für wild und gefährlich gelebte Gegenkultur.

Die leer stehende Brache am Mauerstreifen, die Unordnung aus Zeug und vergessenen Schätzen, das alles passte ins Bild von Berlin: Hier sammelte sich der Plunder, hier wurden die ausgemusterten Dinge des täglichen Lebens in einem Paralleluniversum zum sauberen Handel am Ku’damm oder bei Karstadt zurück in die Warenzirkulation geholt. Die einen kauften aus bitterer Notwendigkeit, weil ihr mieses Einkommen keinen Luxus zuließ; die anderen nahmen eher symbolisch etwas mit – als Protest gegen den Rummel der Kaufhäuser. Wozu viel Geld für einen neuen Regenschirm investieren, wenn man auf dem Flohmarkt ein funktionstüchtiges Exemplar mit leichten Mängeln erstehen konnte, das einen sofort als Teil der Second-Hand-Bewegung auswies?

Heute funktioniert der konsumptive Widerstand nicht mehr so selbstgewiss. Die schlecht sitzenden Hosen und schweißfleckigen Polyester-Hemden findet man mittlerweile in unzähligen Ramschläden, die ironisch nach schlechten Siebzigerjahre-Filmen benannt sind und in denen sich jung gebliebene Erwachsene gleich kiloweise verrückte Klamotten für den nächsten Klubbesuch einpacken lassen. Bezahlt wird mit Karte, die Raver-Maus am Verkaufstresen arbeitet Teilzeit, und demnächst wird hier eine neue Soap für RTL II gedreht.

Aber auch die Flohmärkte haben als Umschlagplatz einer Öffentlichkeit, die ihr bisschen Geld den Shoppingmalls zum Trotz ausgibt, sehr an Reiz verloren. Das Freak-Kollektiv, das unter einem Zeltdach Räucherstäbchen abbrennt und selbst genähte Lederhosen verhökert, lässt heute lieber billig in Polen produzieren; statt klappriger Schrankwände, die von der letzten Wohnungsauflösung angeschleppt wurden, gibt es Jugendstilmöbel mit Zertifikat. Die Stände an der Straße des 17. Juni im Tiergarten sehen so herausgeputzt aus wie auf einem Wohltätigkeitsbasar zum Jubiläum eines Autohauses in Stade. Wer hier kauft, sucht keine Alternative zu den trostlosen Angeboten quer durch deutsche Fußgängerzonen, er fühlt sich wohl in einer bratwurststickenden Büdchenkultur, die nicht mehr die gewöhnliche Geschäftigkeit parodiert. Oder, schlimmer noch, die genau dies tut, weil sie sich in den merkantilen Verhältnissen eingerichtet hat.

Der Flohmarkt, früher ein Residuum des Antikommerz, ist längst zur B-Ebene der Konsumption geworden – Schnäppchen aus zweiter Hand. Dann stehen die beiden Verkäuferinnen morgens um sechs mit lauter anderen verirrten Verkäuferinnen vor dem Plastikgeschirr, das auf weißen Tischdecken am Straßenrand liegt, und freuen sich auf die Regale bei Penny, die sie am nächsten Tag endlich wieder auffüllen dürfen. So wie die Akademiker am Montag wieder beherzt Paragrafen büffeln und die Touristen zurück nach Bielefeld oder Stade gekarrt werden. Weil alles seine Ordnung hat, auch außerhalb der Ordnung.

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