: „Die Zeit ist ein Düsenflugzeug“
Zum Geburtstag Froschhüpfen spielen und Geschichten über Schneewittchen hören: Bob Dylan hat sich im Blau verfangen. Ein Gespräch mit dem Meister
Interview MATTI LIESKE
taz: Mr. Dylan, Sie werden morgen 60. Fühlen Sie sich auch so?
Bob Dylan: Oh, mein Name ist nichts, mein Alter bedeutet noch weniger.
Zu viel der Bescheidenheit.
Damals war ich doch so viel älter.
Wie meinen?
Jetzt bin ich jünger.
Sie sprechen in Rätseln.
Kritisieren Sie gefälligst nicht, was Sie nicht verstehen können.
Okay, okay, ist ja schon gut. Wie gedenken Sie eigentlich, Ihren Geburtstag zu begehen. Mit Freunden? Allein? Mit Ihrer Familie?
Froschhüpfen spielen und Geschichten über Schneewittchen hören?
Na, so klein sind die Kinder ja nun auch nicht mehr.
Die Dinge haben sich geändert.
Das können Sie laut sagen.
Die Zeit ist ein Düsenflugzeug, sie vergeht zu schnell.
Wie wahr, wie wahr.
Könnte ich nur die Uhr zurückdrehen, zu einer Zeit, als Gott und sie geboren wurden?
Sie?
Sara, oh Sara, glamouröse Nymphe mit Pfeil und Bogen.
Da sind Sie also immer noch nicht drüber weg, trotz Ihrer Ehe mit dieser Sängerin.
Eine Hütte in Utah bauen, heiraten, eine Regenbogenforelle fangen, einen Haufen Kinder in die Welt setzen, die mich Papa nennen, das muss es doch sein, worum sich alles dreht.
Geben Sie zu, Sie waren nie in Utah.
Sie schenkte mir Babies, eins, zwei, drei.
Oh Gott, schon wieder Sara.
Hazel, schmutziges, blondes Haar.
Wer zum Teufel ist Hazel?
Mein Kopf schwirrt, ich fühle einen stechenden Schmerz. Komm, sitz neben mir und sage kein Wort.
Dafür bin ich bestimmt nicht hergekommen. Aber ich glaube, das Thema Frauen vergessen wir lieber. Sie haben immer noch nicht gesagt, wie Sie Ihren Geburtstag feiern.
Die Titanic segelt im Morgengrauen.
Eine kleine Schiffsreise?
Da bläst immer noch ein übler Wind auf dem Oberdeck. Dieser Ort hat keinen Sinn mehr für mich.
Was aber dann?
Ich reise heute ab, ich werde unterwegs sein, viel mehr kann ich darüber nicht sagen.
Okay, lassen wir das. Reden wir über die Vergangenheit. Können Sie sich eigentlich noch an Ihre Zeit als junger Bursche in Minnesota erinnern, wo Sie jede Party sprengten, weil Sie nicht aufhören wollten, Ihre Lieder zum Besten zu geben?
Der Song war lang und es war noch viel zu singen.
Aber den anderen sind Sie ziemlich auf den Wecker gegangen.
Wozu wäre ich gut, wenn ich so wie die anderen wäre.
Ein paar Jahre später haben dieselben Leute Sie angebetet.
Wenn du die Spitze erreichst, stellst du fest, dass du in Wahrheit am Boden liegst.
Warum so bitter?
Ich habe mein Bestes gegeben, einfach nur ich zu sein, aber alle wollen, dass du wie sie bist.
Na ja, Sie müssen aber zugeben, dass das mit der elektrischen Musik ziemlich hart war für die Folkies.
Wenn du außerhalb des Gesetzes leben willst, dann musst du ehrenhaft sein.
Mein Reden.
Manchmal denke ich, die ganze Welt ist ein großer Gefängnishof, einige von uns sind Gefangene, der Rest Wachen.
Gut gesagt.
Klau ein bisschen und sie werfen dich ins Gefängnis, klau eine Menge und sie machen dich zum König.
Ist das jetzt nicht ein bisschen dick aufgetragen? Und noch dazu von Brecht geklaut.
Du bist ein Idiot, Baby, ein Wunder, dass du noch weißt, wie man atmet.
Hey, hey, jetzt werden Sie mal nicht ausfallend.
Ich wollte dich nicht so schlecht behandeln, du solltest es nicht so persönlich nehmen.
Na ja, schon gut, schon gut.
Die Leute sehen mir die ganze Zeit zu und ich kann mich nicht erinnern, wie man sich zu benehmen hat.
Verstehe, die Never-Ending-Tour.
Ich bin allein gelassen in meinem Elend wie ein armes getriebenes Gespenst und ich ziehe von Stadt zu Stadt, sie nennen mich das wandelnde Ortsschild.
Keiner nennt Sie so.
Wenn man nichts hat, hat man nichts zu verlieren.
Das mag sein, aber Ihnen geht es doch gut.
Was gut ist, ist schlecht, und was schlecht ist, ist gut.
Das ist mir zu dialektisch.
Außer Kain und Abel und dem Glöckner von Notre Dame macht doch jeder Liebe oder erwartet wenigstens Regen.
Sie reden irre.
Manchmal besaufe ich mich, laufe wie eine Ente und rieche wie ein Stinktier.
So genau wollte ich es gar nicht wissen.
Ich habe mit Burgunder angefangen, bin aber bald an das härtere Zeug geraten.
Die Gerüchte habe ich gehört.
Weißer Rum in einer Bar in Portugal.
Auch das noch.
In einem kleinen Dorf auf einem Hügel haben sie um meine Klamotten gespielt.
Scheußlich, scheußlich.
Wie ein Krokodil wurde ich gejagt.
Das war bestimmt damals, als das Gerücht ging, dass Sie Napalm-Aktien besitzen und zionistische Extremisten unterstützen. Ich erinnere mich an ein Konzert 1978 in Berlin, als sie fast von einem Farbei und ein paar Tomaten . . .
Sie sagten, ich hätte einen Mann namens Gray erschossen und seine Frau nach Italien entführt.
Verwechseln Sie da nicht was?
Ich verkaufte meine Gitarre an den Bäckersohn . . .
Pavarotti?
. . . für ein paar Krümel und einen Platz zum Verstecken.
Wo war das?
Die Straßen von Rom sind voller Schutt.
Also immer noch Italien.
Ich verließ Rom und landete in Brüssel.
Ausgerechnet.
Ich sah Pistolen und scharfe Schwerter in den Händen von kleinen Kindern.
Das glaube ich Ihnen aufs Wort.
Ich traf ein junges Mädchen, sie gab mir einen Regenbogen.
Also, jetzt reicht’s. Das ist schließlich keine Märchenstunde.
Aschenputtel scheint locker drauf zu sein.
Ich bitte Sie, dieses Interview ist kein Witz.
Es gibt eine Menge unter uns, die glauben, dass das ganze Leben ein Witz ist.
Und Sie?
Die Antwort ist . . .
In den Wind gepustet, ich weiß.
Suche nicht nach Antworten, wo keine Antworten zu finden sind.
Das wird mir jetzt zu philosophisch. Da Sie heute so ungewohnt auskunftsfreudig sind, wie wäre es mit ein paar Basisinformationen? Wer ist zum Beispiel Ihr Lieblingssänger?
Niemand singt den Blues wie Blind Willie McTell.
Und was ist mit Donovan?
(grinst) . . . Quakender Ochsenfrosch.
Und Ihr Sohn Jacob, der Ihnen mit seinen Wallflowers die Fans klaut?
Geh, Junge, und folge deinem Herzen.
Lieblingsspeise?
Scharfe Chilischoten in brütender Sonne.
Igitt. Lieblingsgetränk?
Noch eine Tasse Kaffee auf den Weg.
Lieblingsfarbe?
Ein weißerer Schatten von Bleich.
Jetzt scherzen Sie.
Ich habe mich im Blau verfangen.
Also Blau.
Was für Farben du auch immer im Sinn hast, ich zeige sie dir und lasse sie leuchten.
Ihr größter Fehler?
Ich war einen Tag zu lang in Mississippi.
Lieblingsfilm?
Einmal habe ich einen Film gesehen. Alles woran ich mich erinnere, ist, dass Gregory Peck die Hauptrolle spielte, einen Revolver trug und in den Rücken geschossen wurde.
Das war „The Gunfighter“. Sie scheinen einen recht simplen Filmgeschmack zu haben. Dabei haben Sie doch selbst mal einen gedreht, Renaldo und Clara. War aber ein Flop.
Richter mit falschem Herzen werden in den Netzen sterben, die sie spinnen.
So nachtragend?
Der Mensch hält nichts von Fair Play. Er will alles und er will es auf seine Weise.
Das wird mir jetzt zu pessimistisch. Glauben Sie eigentlich noch an Gott?
Wenn die Bibel recht hat, wird die Welt explodieren.
Und das finden Sie gut?
Gott macht keine Versprechen, die er nicht hält.
Der Teufel auch nicht.
Satan kommt manchmal als Mann des Friedens.
Sie glauben also eher an das Böse.
Gut und böse, diese Worte habe ich ohne Zweifel mal ziemlich genau definiert, irgendwie. Aber die Dinge haben sich geändert.
Das sagten Sie schon.
Die Engel fliegen zu nahe am Boden.
Wie meinen?
Ach, es hat doch sowieso keinen Sinn, herumzusitzen und sich zu fragen, warum das so ist.
Mit anderen Worten, ich soll verschwinden.
Du musst jetzt gehen, nimm mit, was du brauchst.
Eigentlich nichts.
Was immer du behalten willst, halte es besser fest.
Nun ja, ein T-Shirt von der letzten Tournee mit Autogramm wäre nicht schlecht.
Steh nicht in der Tür herum und blockiere nicht den Flur.
Na gut, dann eben nicht. Wir sehen uns beim Konzert in Schwäbisch-Gmünd.
Behalte die Parkuhren im Auge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen