„Kriminelle sind die anderen“

Norbert Pütter, Redakteur der Zeitschrift „Bürgerrechte und Polizei“, über den schwammigen Begriff der organisierten Kriminalität und seine Folgen

taz: Herr Pütter, Justiz- und Innenverwaltung haben erstmals ein gemeinsames Lagebild zur organisierten Kriminalität vorgestellt. Wie ist so ein Bericht zu beurteilen?

Norbert Pütter: Aus den Ermittlungsbereichen der Polizei werden nach einer bundeseinheitlichen Definition diejenigen Bereiche herausgefiltert, die organisierte Kriminalität darstellen sollen. Der Lagebericht ist nur ein Abbild dessen, was die Polizei ermittelt hat, und gibt keinerlei Aufschluss darüber, ob sich die Wirklichkeit verändert hat.

Steht die Ermittlungstätigkeit in Zusammenhang mit dem verzeichneten Wachstum der organisierten Kriminalität?

Wenn Ermittlungen ausgeweitet werden, wird auch mehr Kriminalität registriert – eine Zunahme des kriminellen Geschehens bedeutet das nicht unbedingt.

Gibt es die organisierte Kriminalität denn wirklich?

Dass Kriminalität organisiert wird, ist eine triviale Feststellung. In einer Welt, wo alles organisiert wird, wäre es lächerlich anzunehmen, dass ausgerechnet hier Einzeltäter vorherrschten.

Aber man hat sich auf eine Definition mit Folgen geeinigt.

Die offizielle Definition ist schwammig und taugt nicht zur Unterscheidung von organisierter und nicht organisierter Kriminalität. Gleichwohl sind gesetzgeberische Folgen offenkundig: Mit angeblich gewandelten Kriminalitätsformen hat man neue Ermittlungsmethoden begründet. Verdeckte Ermittler, Observationen, bis hin zum Lauschangriff. Bei der Polizei hat die Definition dazu geführt, dass neue Spezialeinheiten aufgebaut wurden. Ein Tatverdacht, der früher kriminalpolizeiliche Aktivitäten auslöste, wird heute vielfach erst durch polizeiliche Verdachtsschöpfungen erzeugt. Brennt eine Pizzeria ab, dann ist das ein Ansatzpunkt zu forschen, ob es sich nicht um Schutzgelderpressung handelt.

Was bedeutet der Vorschlag, bei Verdacht auf organisierte Kriminalität schneller das Vermögen zu beschlagnahmen?

Wenn Leute nur in den Verdacht der organisierten Kriminalität geraten, kann ihr Vermögen eingezogen werden. Wenn sich der Verdacht später nicht bestätigt, sind sie möglicherweise ruiniert.

Kann man überhaupt von OK als einem eigenem Kriminalitätsfeld sprechen?

Die Bilder von hierarchischen Organisationen, die da gezeichnet werden, sind mit Sicherheit falsch. Zwischen den Extremen der klassischen Mafia und dem Gelegenheitstäter gibt es eine unendliche Vielfalt von Handlungsformen im kriminellen Bereich. Ich glaube nicht, dass es da eine neue Qualität gibt. Das Verlässlichste, was man hier hat, sind die Zahlen der Polizei. Das ist eine Arbeitsbilanz, keine Realitätsdiagnose.

Was wird mit dieser Arbeitsbilanz verfolgt?

In der Vergangenheit wurden damit vor allem Gesetzesverschärfungen begründet. Die organisierte Kriminalität dient darüber hinaus als Legitimation zur Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen in Europa. Außerdem wird versucht, unter Verweis auf die hohe Zahl ausländischer Verdächtiger Kriminalität als von außen kommend darzustellen. Nach dem Motto: Die Kriminellen sind die anderen. Das verkennt natürlich vollkommen, dass die meisten, die beispielsweise illegale Waren konsumieren, die angeblich so rechtstreuen Deutschen sind.

INTERVIEW: KATJA BIGALKE